Gerade zu Beginn der grossen Winterferien am 1. Dezember, als sich alle schon auf Weihnachten freuen, lässt der König alle Weihnachtsgeschenke einsammeln. Sie sollen an Heiligabend verbrannt werden.
Was ist um Himmels Willen nur in den König gefahren?
Vier Freunde versuchen, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Dazu müssen sie sich zunächst auf eine abenteuerliche Reise begeben. Einige Gefahren sind zu überstehen, bis sie schliesslich jemanden treffen, der selbst auch ein Geheimnis birgt und die Freunde unterstützt. Aber die Zeit, dem König auf die Schliche zu kommen, wird knapp. Wird es ihnen gelingen, die Geschenke der Dorfbewohner zu retten?
Lies selbst oder lass dir vorlesen. Hinter jedem Türchen steckt ein Kapitel und mit jedem Türchen kommt ihr der Lösung des Rätsels zusammen mit unseren Freunden einen Schritt näher.
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Vor ein paar Jahren hatte ich meinen Kindern im Dezember jeweils eine Gutenacht-Geschichte erzählt. Sie sollte gleichermassen für Jungs und Mädchen spannend sein. Das Thema „Weihnachten“ war natürlich vorgegeben. So entstanden spontan Abend für Abend die einzelnen Kapitel für „Die verbrannten Geschenke“, ohne von Anfang an zu wissen, wo die Geschichte die Hauptdarsteller am nächsten Tag hinführen würde, geschweige denn, wie die Geschichte enden würde.
Ich hatte schon früher viele Geschichten erfunden und alle landeten letztlich im Dunkel des Vergessens. Bevor auch diese Geschichte verblasste, habe ich sie einige Zeit später niedergeschrieben. Die ursprüngliche Geschichte ist im Laufe der zahlreichen Überarbeitungen etwas gewachsen und verändert worden, doch im Wesentlichen dieselbe geblieben, wie ich sie damals erzählte.
Schon länger hatte ich mir gewünscht, die Geschichte zu bebildern. Zu jedem Kapitel sollte es eine passende Illustration geben, die das Thema des Kapitels in einem typischen Bild widerspiegelt. Diese Aufgabe hat mit grossem Eifer und viel Talent Anouk Pfammatter übernommen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Ihre Zeichnungen haben mich sodann mehrfach inspiriert, neue Details in die Geschichte aufzunehmen und den einzelnen Charakteren mehr Leben einzuhauchen. Sehr verbunden bin ich Sven Gretler, der für die umsichtige technische Umsetzung dieses Adventskalenders besorgt war. Mit strengem Blick hat sodann meine Mutter als ehemalige Korrektorin den Text geprüft ("wo hast du denn Deutsch gelernt?"). Für die Inspirationen durch meine Familie bin ich sehr glücklich.
Die 24 Kapitel eignen sich jetzt zum Füllen eines Adventskalenders. Ich wünsche allen beim Öffnen der Törchen, beim Lesen der Geschichte und Betrachten der Illustrationen viel Vergnügen. Findet sich am Ende des Kapitels ein Button «Vorlesen», kann man einfach auch nur zuhören.
K. B.
Natürlich ist die Weihnachtsgeschichte glücklich ausgegangen – zumindest für die Kinder und die Dorfbewohner, die ihre Geschenke zurückbekommen haben. Einen plausiblen Grund für den König für seine Aktion zu finden, war nicht ganz einfach. Ich schwankte zwischen mehreren Varianten (unglückliche Kindheit, infantiler Scherz, Prüfung der Untertanen, verstörter Geist, Beeinflussung durch einen Dritten etc.). Die Variante, seinen Bruder wieder an den Hof zu bringen, schien mir die sympathischste Lösung. Die Kinder fragen sich natürlich zu Recht, ob sich ein solcher Aufwand wirklich gelohnt hat, zumal der König mit seiner Aktion ja auch einen Aufstand riskiert. Diesen hätte es auch fast gegeben, was die Kinder (und wir als Leser) aber nicht mitbekommen haben. Die Untertanen sind natürlich jetzt von Richard begeistert, weil er in ihren Augen Weihnachten gerettet hat. Sie erfahren wenig später von der Krankheit des Königs und sind dadurch nun auch wieder etwas milder ihm gegenüber gestimmt. Die Kinder erhalten ihre Belohnung (was, habe ich mir noch nicht überlegt). Die Eltern sind selbstverständlich wahnsinnig stolz auf ihre Kinder. Die übrigen Dorfbewohner haben die Bedeutung ihrer Reise allerdings nicht richtig wahrgenommen, weil sie die Geschenke ja im Namen von Richard zurückerhalten haben und von den Kindern nichts erwähnt wurde. So bleibt es ihr kleines Geheimnis. Das macht es auch einfacher, wenn am 4. Januar ihre Schule wieder beginnt. An diesem Tag wird der Kalender übrigens vom Netz genommen (und ihr könnt noch das letzte Bild von Anouk bestaunen). Wenn ihr ein Kapitel noch nicht gelesen habt, solltet ihr es spätestens bis zum 3. Januar nachholen.
Jetzt seid ihr dran: Ich habe mich schon über zahlreiche schöne Kommentare gefreut und auch gewisse Kritiken erhalten. Mehrere Leser haben sich beispielsweise beklagt, dass man sich nicht alle Kapitel vorlesen lassen konnte und meinten, es handle sich um einen Programmierfehler! Dem ist aber nicht so. Ich bin der Meinung, dass Hörbücher sehr spannend sein können, das eigene Lesen aber doch viel aufregender ist. Die vertraute Stimme der Eltern, die vorlesen, kann auch die des besten Erzählers nicht ersetzen. Ich würde mich sehr über eure Hinweise, Kritiken und Bemerkungen freuen. Welches Kapitel hat euch am besten gefallen, wo ist die Geschichte nicht wirklich stimmig, was hättet ihr anders gemacht, wo habt ihr im Text Fehler entdeckt, was würde euch noch interessieren, welche Bilder haben euch am besten gefallen und und und. Schickt mir einfach eine E-Mail an dieverbranntengeschenke@gmail.com.
Auf meinem Blog habe ich zu den einzelnen Kapiteln schon ein paar zusätzliche Infos gepostet, die ihr unter www.dieverbranntengeschenke.com abrufen könnt.
Herzlich Kai
Emma, Mike und Ike sassen im Wohnzimmer auf dem Boden und betrachteten den kleinen Berg von Weihnachtsgeschenken, der von ihren Eltern schon vor dem Kamin aufgeschichtet worden war. „Noch fast dreieinhalb Wochen warten“, stöhne Ike, „das halte ich dieses Jahr bestimmt nicht aus“. „Ich möchte mal wissen, welche von den vielen Geschenken hier für mich sind“, ergänzte Mike. „Also eines von deinen Geschenken kenne ich“, feixte Emma, „aber ich verrate nichts“. „Wir könnten ein wenig an den Geschenken rütteln“, flüsterte Ike und nahm rasch ein kleines, in rotem Papier eingewickeltes Päckchen in die Hand. „Untersteht euch!“ rief die Mutter streng, die gerade zur Tür hineintrat. „Leg das sofort wieder hin und wenn ich nochmals jemanden mit den Geschenken erwische, verschwinden sie – für immer“. Ike legte das Geschenk schnell wieder unter den Weihnachtsbaum. Es war wirklich verhext. Wieso erschienen die Eltern immer gerade dann wie aus dem Nichts, wenn man zu flüstern begann oder etwas ausheckte. Emma lachte. Sie war gerade elf Jahre alt geworden und ziemlich aufgeweckt. “Aber Mami, du kennst uns doch. Das würden wir doch niiie tun“. Die Zwillinge, die ein gutes Jahr älter als Emma waren und sich wie ein Ei dem anderen glichen, grinsten und riefen im Chor: “Niiie!“
Stets am 1. Dezember eines jeden Jahres begannen für die Kinder die langen Winterferien Es war ein alter Brauch, dass die Menschen in diesem Königreich ihre Weihnachtsgeschenke, die sie ihren Kindern, Verwandten und Freunden schenken wollten, bis spätestens zu diesem Tag ausgesucht hatten. Pünktlich auf den 1. Dezember hatten sie alle Geschenke bereit und in wunderhübsches Geschenkpapier verpackt. Die Päckchen wurden zu Hause in die Stube gelegt, so dass jeder sie sehen und bewundern konnte. Es war eine schöne und friedliche Zeit bis zu Weihnachten, aber die Geduld aller Kinder wurde auf eine harte Probe gestellt. Aber dieses Jahr war anders. Den Leuten war aufgefallen, dass das Schloss des Königs in diesem Jahr keinerlei Anzeichen vom kommenden Weihnachtsfest zeigte. Üblicherweise war es üppig geschmückt und verziert und nachts mit zahlreichen Fackeln hell beleuchtet. Nichts von alledem war bis jetzt zu sehen und erste Gerüchte machten die Runde, dass der König dieses Jahr kein Weihnachtsfest vorbereiten wollte. Sonderbar war auch, dass er auf dem Dorfplatz eine grosse, mit einer Plache überdachte Holzbühne hatte errichten lassen. Darum herum standen nun zahlreiche Zelte, wie sie sonst nur seine Soldaten benutzten. Er hatte sodann für heute eine Bekanntmachung auf dem Dorfplatz angekündigt und der Vater der Kinder war vor einer Viertelstunde losgelaufen, um sie zu hören. Die Eltern der Kinder waren schon seit Tagen merklich angespannt, als ob sie spürten, dass etwas Unheilvolles auf sie zukommen würde. Die Mutter der Kinder, die noch immer in der Türe stand und streng auf die Kinder blickte, liess sich denn auch nicht so schnell versöhnen. „Emma, ich habe heute wieder einmal fünf deiner Haarspangen überall in der Wohnung verstreut auflesen müssen. Und und euch zwei“, sie wandte sich zu den Zwillingen, „habe ich gebeten, Rücksicht auf eure Mitmenschen zu nehmen und euch wenigstens im Kleiderstil etwas zu unterscheiden.“ Emma fasste sich kurz an ihre beiden roten Haarspangen, die ihre blonden Haare vorne zurückhielten. „Du hast meine anderen Haarspangen gefunden! Das ist ja wunderbar. Ich hatte sie schon überall gesucht. Du bist die Beste!“ Ike seufzte beleidigt: „Aber Mama, wir können doch nichts dafür, dass du uns als Zwillinge geboren hast. Aber okay, ab heute wird mein Stil ein ganz anderer sein.“ Damit drehte er seine blaue Schirmmütze um 180°, sodass der Mützenschirm nun nach hinten zeigte. Er machte dazu ein ernstes Gesicht. Einen Moment lang blitzten die Augen der Mutter gefährlich, aber im nächsten Moment zuckten ihre Mundwinkel und alle begannen laut zu lachen. In diesem Moment klopfte jemand laut gegen die Eingangstüre. Eine barsche Stimme rief von draussen: „Aufmachen! Im Namen des Königs!“ Die Kinder erschraken und auch die Mutter machte ein verdattertes Gesicht. Als erneut ein lautes Hämmern zu hören war, lief sie rasch zur Türe, um sie zu öffnen. Die Kinder schauten sich fragend an. Sie hörten an der Türe einen entsetzten Aufschrei der Mutter und kurz darauf schwere Schritte von zwei Männern. Eine Sekunde später standen zwei Soldaten, dick in Wintermäntel verpackt und mit einem grossen Korb im Arm, im Wohnzimmer: „Auf Befehl des Königs sind alle Weihnachtsgeschenke herauszugeben. Bei Missachtung des Befehls gilt eine schwere Strafe!“ Die Soldaten kümmerten sich nicht um die Kinder, die die Soldaten mit weit aufgerissenen Augen anstarrten und nichts zu sagen wussten, sondern sammelten alle Geschenke mit flinken Griffen ein, packten sie in den Korb und trugen sie nach draussen. "Mama, Mama"! rief Emma, ganz entsetzt, "was machen die Soldaten mit unseren Geschenken?" In diesem Moment stürmte auch ihr Vater atemlos ins Haus. "Es ist … - der König …", der Vater stockte. Er rang nach Worten und wusste nicht, was er sagen sollte, entschied sich dann aber für die Wahrheit, die die Kinder doch ohnehin bald erfahren würden: "Der König will alle unsere Geschenke und auch die aller anderen Bürger an Heiligabend verbrennen."
Am nächsten Tag nach dem Frühstück schickte die Mutter die Kinder in den Wald, um Brennholz zu holen: „Wir brauchen Holz für den Ofen, sonst werden wir bald frieren und nichts mehr kochen können“, ermahnte sie die Kinder. Diese nahmen ihre Rucksäcke und machten sich auf den Weg. Schon während des ganzen Morgens hatten sie über nichts anderes gesprochen, als über ihre eingesammelten Geschenke und den merkwürdigen Befehl des Königs. „So ein Unsinn“, ereiferte sich Mike, „warum will der König die Geschenke verbrennen, da hat er doch nichts davon“. „Vielleicht will er uns nur auf die Probe stellen oder es ist nur alles ein dummer Streich des Königs“, versuchte Ike einzuwenden. “Nein“, sagte Emma und schüttelte den Kopf, „dem König ist es ernst, das hat man auch den Soldaten angesehen. Wir müssen etwas unternehmen“. „Wir?“ fragten Mike und Ike wie aus einem Mund und schauten ihre Schwester erstaunt an. „Klar, ihr wollt eure Geschenke ja wohl auch zurückhaben, ober etwa nicht? Wir müssen nachdenken und uns etwas einfallen lassen. Wir können uns doch nicht einfach so die Geschenke wegnehmen lassen“. Mike schüttelte ungläubig den Kopf: „Dann denk mal scharf nach. Wir gehen inzwischen Holz sammeln. Komm Ike!“ Die Kinder waren mittlerweile am Waldrand angekommen. Emma setze sich auf einen Baumstumpf und liess die Beine baumeln. „Na gut. Geht ihr zwei nur. Ich finde eine Lösung und werde sie euch vorstellen, wenn ihr zurückkommt“. Ike und Mike liessen ihre Schwester zurück und stapften in den Wald. Sie wussten, dass es keinen Sinn hatte, sie jetzt umstimmen zu wollen. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie stur wie ein Esel. Emma war wütend und traurig, wenn sie an all die Geschenke dachte, die an Heiligabend verbrannt statt ausgepackt werden sollten. Irgendwie fehlte ihr auch die Hoffnung, einen rettenden Gedanken zu bekommen. „Hallo, bist du nicht Emma?“ fragte plötzlich eine Stimme neben ihr. Emma erschrak und hatte beinahe das Gleichgewicht verloren. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass plötzlich neben ihr ein Mädchen in etwa gleichem Alter aufgetaucht war. Sie hatte strubblige schwarze Haare, zwei leuchtend grüne Augen, eine kleine Stupsnase und obwohl es Winter war, ein paar lustige Sommersprossen unter den Augen. „Ich bin Liza“, sagte sie, als Emma nicht gleich antwortete. „Du siehst traurig aus. An was denkst du“? „Hallo“, antwortete Emma, die das Mädchen jetzt erkannt hatte. „Ja, ich bin Emma und du bist doch das Mädchen, welches mit ihrer Mutter alleine im Wald lebt. Die Leute im Dorf erzählen spannende Geschichten über euch. Stimmt es, dass ihr mit Tieren sprechen könnt und niemand den Wald besser kennt als ihr“? „Schon möglich“, meinte Liza etwas verlegen. „Der Wald und die Tiere sind unsere Freunde. Wenn du magst, zeig ich dir, wo ich wohne. Wir haben Futterkrippen für Hasen und Rehe. Und ich sehe an deinem Rucksack, dass du Holz suchst oder suchen solltest. Wir haben einen grossen Berg mit trockenem Brennholz. Du kannst so viel davon nehmen, wie du tragen kannst.“ „Gern!“, sagte Emma begeistert und sprang von ihrem Baumstumpf. Das Mädchen war ihr sympathisch und Rehe und Hasen würde sie sehr gerne einmal sehen wollen. „Aber meine Brüder Ike und Mike kann ich nicht alleine lassen“. In diesem Moment traten Ike und Mike mit betrübten Gesichtern aus dem Wald. Sie hatten nur kleine nasse Holzstückchen in ihren Rucksäcken. „Der Wald ist wie leergefegt“, muffelte Ike, „wahrscheinlich haben die Soldaten des Königs auch noch alles Brennholz aus dem Wald geholt, damit die Geschenke dann auch gut brennen“. Als sie Liza sahen stutzten sie und Ike fragte: “Oh, hallo, bist du die Lösung, die Emma gesucht hat?“ Liza sah ihn verständnislos an. Mike antwortete rasch: „Kümmere dich nicht um Ike, er ist ein Spassvogel. Aber bist du nicht das Mädchen, welches mit ihrer Mutter alleine im Wald lebt? Die Leute im Dorf erzählen sich spannende Geschichten über euch...“ „Ja, ja, das wissen wir schon“ lachten Emma und Liza. „Kommt,“ sagte Emma zu ihren Brüdern, „das ist Liza. Sie hat uns zu sich eingeladen. Wir bekommen dort auch Brennholz“. Das war auch den Brüdern recht, denn schliesslich wollten sie nicht ohne Brennholz nach Hause kommen. So ging Liza voran direkt in den Wald. Die drei Geschwister konnten ihr kaum folgen, so behänd hüpfte Liza über Wurzeln und Steine. Es schien, als kenne sie jeden Baum und jeden Strauch wie ihre Westentasche. „Psst“, zischte Lisa plötzlich, duckte sich und zeigte auf ein kleines Häuschen auf einer Waldlichtung. Die Kinder zuckten zusammen und blieben stehen und wussten zunächst gar nicht, was Liza meinte. Aber dann sahen sie tatsächlich neben dem Häuschen eine kleine Futterkrippe und daneben drei junge Rehe, die am Stroh in der Krippe knabberten. Aber da hatten die Rehe bereits ihre Köpfe in die Höhe gestreckt und die Kinder erschnuppert. Zuerst zaghaft doch dann mit langen, grossen Sprüngen machten sie sich davon und entschwanden aus den Blicken der Kinder auf der anderen Seite im Wald. „Schade“, seufzte Emma enttäuscht, „jetzt haben wir sie verscheucht“. „Macht nichts, die kommen wieder“, versuchte Liza sie zu trösten. Schon bald sassen die Kinder in der gemütlichen Stube im Waldhaus. Die Mutter von Liza freute sich über den Besuch und hatte den Kindern eine warme Milch vorgesetzt. Natürlich empörten sich die Kinder wieder über den König. „Morgen machen wir einen Plan, wie wir die Geschenke vom König zurückbekommen!“, erklärte Emma schliesslich. „Jeder überlegt sich über Nacht, was wir tun können“. „Gut, einverstanden“, sagte Liza. „Kommt morgen wieder zu mir. Ich helfe euch gern, die Geschenke zurückzubekommen, unsere sind nämlich auch weg“. Bevor Liza die Geschwister wieder zurück an den Waldrand führte, konnten sie noch schnell ihre Rucksäcke mit dem versprochenen Brennholz füllen. „Ich treff’ euch morgen wieder hier nach dem Frühstück“, rief sie den Geschwistern zum Abschied nach, drehte sich um und verschwand ehe die Kinder sich’s versahen wieder im Wald ebenso schnell wie gerade vorher die drei jungen Rehe.
Am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück machten sich die Kinder bereit, um Liza im Wald zu treffen. „Wo wollt ihr denn so früh schon hin“? fragte ihre Mutter erstaunt. Die Kinder hatten gestern Abend keine Gelegenheit mehr gehabt, von ihrer neuen Freundin zu berichten. Die Kinder waren recht spät nach Hause gekommen und die Eltern hatten lange miteinander über den seltsamen Befehl des Königs diskutiert und was die Leute im Dorf nun unternehmen würden. Die Stimmung war nicht besonders gut gewesen und so waren die Kinder rasch schlafen gegangen. „Wir haben uns mit Liza aus dem Wald verabredet“, erklärte nun Mike. „Liza“? Die Mutter runzelte die Stirn. „Die Liza, die mit ihrer Mutter alleine im Wald bei den Tieren wohnt? Wo habt ihr die denn getroffen“? „Im Wald, bei den Tieren, wo sie mit ihrer Mutter alleine bei den Tieren wohnt“, sagte Ike vorlaut. „Sie hat uns eine Menge gutes Holz geschenkt“ fügte Mike schnell hinzu, als er sah, wie die Mutter Ike streng ansah. „Und wir haben Rehe gesehen“, strahlte Emma. „Und heute machen wir einen Plan, wie wir die Geschenke zurückkriegen“, setzte sie ernst nach. Die Mutter schaute die Kinder etwas verdutzt an. „Aha, na gut. Dann bin ich aber gespannt. Aber gebt Acht, dass ihr Euch im Wald nicht verirrt. Bleibt zusammen; ihr wisst, es gibt Wölfe im Wald“. „Aber doch nicht so nah am Dorf, Mama“, gab Mike vorwurfsvoll zurück. „Wir passen schon auf und Liza kennt sich prima aus im Wald“, ergänzte Ike. „Dürfen wir bis zum Abend bleiben?“ fragte jetzt Emma. „Lizas Mama hat gesagt, sie würde uns was kochen, wenn du es erlaubst“. „In Ordnung“, sagte die Mutter, die mit Ausnahme, dass Liza und ihre Mutter alleine im Wald lebten, nur Gutes von ihnen gehört hatte. „Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück seid.“ „Versprochen!“ riefen alle Kinder wie aus einem Mund und rannten los, bevor es sich die Mutter noch anders überlegen oder weitere Bedingungen stellen konnte. Liza wartete schon ungeduldig am Waldrand. Vielleicht hatte sie leicht gezweifelt, ob die Kinder ihr Versprechen tatsächlich halten würden. Nun aber freute sie sich und lief zufrieden vor ihnen her. Diesmal pirschten die Kinder sich vorsichtig an das kleine Häuschen mit der Futterkrippe heran, um keine Tiere zu verscheuchen. Es waren aber keine zu sehen. „Die Rehe haben schon gefrühstückt“, meinte Liza. „Aber wir sehen sie sicher kurz vor der Dämmerung noch einmal“. In der Stube sassen die Kinder um den Tisch und diskutierten wild, wie man die Geschenke zurückbekommen würden. „Wir könnten dem König die Geschenke wieder abkaufen“, erklärte Ike. „Ich hab’ schon allerhand gespart. Und wenn jeder was dazugibt...“. „Aber der König hat genug Geld“, unterbrach ihn Mike, „so viel, um ihn zu beeindrucken, bringen wir nie zusammen. Bestimmt geht es ihm nicht um Geld. Er will die Geschenke ja auch nicht für sich behalten, er will sie verbrennen.“ „Vielleicht könnten wir dem König was anderes schenken“, warf Liza jetzt ein. „Der König besitzt aber schon alles, was wir ihm schenken könnten“ gab Emma zu Bedenken, „und ausserdem macht er sich anscheinend nicht viel aus Geschenken – das hat jedenfalls Mama mal erzählt“. Irgendetwas muss ihm über die Leber gelaufen sein, dass er den anderen die Freude verderben will“, seufzte Ike. „Es muss doch einen Weg geben, den König zur Vernunft zu bringen“, protestierte Emma. „Aber wie?“ warf Ike ein. „Wir können doch nicht einfach zum König spazieren und ihn fragen: “He, warum hast du unsere Geschenke geklaut. Gib sie uns gefälligst wieder zurück“. Ike hatte dabei eine tiefe Erwachsenenstimme nachgeahmt. Die Kinder lachten. „Ihr müsstet natürlich höflicher sein“, warf die Mutter von Liza ein und legte ihr Strickzeug zur Seite. Sie hatte die Diskussion der Kinder etwas abseits mitverfolgt. Die Kinder blickten sie erstaunt und fragend an. „Der König gewährt jeden ersten Samstag im Monat Audienz. Das bedeutet, jeder darf den König um Rat fragen. Wenn es eine gute und wichtige Frage ist, erteilt der König einen Ratschlag“. „Und wenn es keine gute und wichtige Frage ist“, wollte Ike wissen. „Dann wird man ohne Antwort wieder nach Hause geschickt,“ antwortete die Mutter. „Das geschieht aber selten“. „Und wird der König nie böse, wenn man ihn etwas Unangenehmes fragt? Und beantwortet er auch Fragen von Kindern? Was passiert, wenn man die Frage vergisst oder stottert“? fragten nun alle Kinder gleichzeitig und aufgeregt durcheinander. „Nein, der König ist meines Wissens noch nie böse geworden, auch nicht, wenn jemand gestottert hat, was einigen Erwachsenen schon passiert ist. Und warum sollte er Fragen von Kindern nicht beantworten?“ versuchte die Mutter die Kinder zu beruhigen. Die Kinder sassen still auf ihren Stühlen und sammelten ihre Gedanken. „Morgen ist der erste Samstag im Dezember“, sagte Emma langsam aber bestimmt. „Wir werden den König um eine Audienz bitten und ihn fragen, weshalb er die Geschenke verbrennen will“.
„Sprich lauter!“, befahl der König Emma, „ich kann dich nicht verstehen.“ Emma hatte einen grossen Kloss im Hals und versuchte ihre Frage lauter zu wiederholen. Aber der König schien sie erneut nicht zu verstehen. Er fragte abermals – diesmal mit ärgerlicher Stimme: „Was hast du gesagt? Kannst du nicht deutlicher sprechen?“ Emma wurde es heiss und sie begann zu schwitzen. Sie sah den König nur undeutlich und verschwommen. Die Leute neben dem König begannen zu tuscheln, zu grinsen und einige zeigten mit dem Finger auf sie. Schliesslich versuchte es Emma erneut. Sie schrie ihre Frage so laut sie konnte. Davon wachte sie auf und musste feststellen, dass sie die Begegnung mit dem König nur geträumt hatte. Das geschah ihr in letzter Zeit häufig. Sie träumte jeweils so lebhaft, dass sie am Morgen manchmal ganz erschöpft war. Heute aber war es die Nervosität, die sie von der kommenden Audienz hatte träumen lassen. Die Kinder hatten nämlich vereinbart, dass Emma die Fragen an den König richten sollte. Emma seufzte. Emma hatte sich aufgesetzt und sah, dass es draussen noch stockdunkel war. Sie seufzte, legte sich wieder hin und schlief rasch wieder ein. „Komm rein“, sagte die Mutter der Kinder freundlich, als Liza am Morgen an die Türe klopfte. „Emma hat mir schon viel von dir erzählt“. Die Kinder setzten sich an den Küchentisch und gingen alles nochmal in Ruhe durch. Sie würden alle zusammen zum König gehen, aber nur Emma würde sprechen. Sie sollte ihn fragen, weshalb die Geschenke dieses Jahr verbrannt werden sollten. Würde der König freundlich sein, war vereinbart, dass Emma ihn zum Schluss bitten würde, ihnen die Geschenke zurückzugeben. „Nun lass uns gehen“, schlug Mike ungeduldig vor. „Sonst kommen wir am Ende noch zu spät“. So machten sich die Kinder auf den Weg zum Schloss. Auf etwa halbem Weg kamen ihnen fünf Männer vom Dorf entgegen. „Wo wollt ihr denn hin“, fragte sie einer der Männer. „Wir gehen zur Audienz zum König“, antwortete Mike. „Wir haben eine wichtige Frage an ihn“. „Den Weg könnt ihr euch sparen“, erwiderte der Mann. „Wir wollten auch zum König und wissen, weshalb er uns unsere Geschenke weggenommen hat. Der Kanzler des Königs hat uns aber wieder nach Hause geschickt. Der König wird diesen Monat keine Audienzen geben.“ Die Kinder sahen sich entsetzt an. Hatten sie nicht ihren ganzen Mut zusammengenommen, alles genau geplant und vorbereitet und jetzt sollte alles umsonst gewesen sein? „Uns wird der König schon empfangen“, meinte Emma trotzig. „Jedenfalls werden wir jetzt nicht umkehren“. Sie wandte sich zu den anderen, „Kommt, wir gehen“. „Na dann, viel Glück“, rief ihnen einer der Männer nach, „ihr werdet es brauchen“. Die anderen Männer lachten. „Wie meint er das?“, fragte Ike erstaunt, „und warum lachen die Männer? Das war doch gar kein Scherz.“ Niemand konnte ihm dazu eine Antwort geben und Ike rätselte noch eine ganze Weile über das Verhalten der Männer. Wenig später gelangten sie zur Schlossbrücke, die über einen tiefen Graben zum Eingang des Schlosses führte. Die Kinder erschraken: Am Tor des Schlosses standen zwei Soldaten, die je einen grossen schwarzen Hund an der Leine hielten. Die Hunde hatten die Kinder schon gewittert, bellten wild, fletschten die Zähne und zogen heftig an den Leinen, die die Soldaten in den Händen hielten. Die Soldaten grinsten, als sie die verängstigen Gesichter der Kinder sahen „Hallo, ihr Süssen“, riefen sie ihnen zu, „sollen wir die Hunde mal loslassen, damit ihr sie streicheln könnt?“ Die Soldanten lachten gemein und der Andere rief: „Macht, dass ihr fortkommt! Ihr habt hier nichts verloren!“. Die Kinder sahen sich unsicher an. „Lasst mich nur machen“, sagte Liza plötzlich bestimmt. „Bleibt hier stehen“. Die Kinder sahen Liza verdutzt an, als sie sich aufmachte, die Brücke zu überqueren. Liza setzte ruhig einen Schritt vor den anderen und tat zunächst so, als ob sie die Hunde gar nicht beachtete. Die Hunde wurden immer aufgeregter, je näher Liza kam. Die Soldaten wunderten sich über den Mut des Mädchens und warteten ab, wie nahe sie wohl dem Tor des Schlosses und den Hunden kommen würde. Dann aber geschah etwas Merkwürdiges. Liza begann leise zu den Hunden zu flüstern, streckte die Hände nach vorn und schritt einem der Hunde vorsichtig entgegen. Dieser war verdutzt, schaute den Soldaten und den anderen Hund an. Dann stiess er die Nase Liza entgegen, hörte auf zu bellen und zog auch nicht mehr an der Leine. Liza war jetzt nur noch einen Meter von ihm entfernt. Sie blieb kurz stehen und flüsterte weiter. Als der Hund keine Anzeichen von Aggression mehr zeigte, streckte Liza ihm ganz vorsichtig ihre Hand entgegen. Dieser begann zu schnuppern und zaghaft mit dem Schwanz zu wedeln. „Guter Hund, braver Hund“, flüsterte Liza und hielt ihm vorsichtig ihre Hand an seine Schnauze. Auch der andere Hund hatte aufgehört zu bellen und beobachtete Liza aufmerksam. Er bellte kurz, als ob er sagen wollte: Lass mich auch mal schnuppern. „Wie hast du das denn gemacht“, fragte der eine Soldat sie und konnte seine Bewunderung nur schwer unterdrücken. „Bist du eine kleine Hexe“? „Nein“, lachte Liza. „Ich bin Liza und ich mag Tiere und die Tiere mögen mich – die meisten wenigstens“. „Kommt“, rief sie den anderen Kindern zu. „Die machen euch nichts!“. Als die Kinder bei den Soldaten standen, war ihre Angst schon wieder verflogen. Die Hunde sassen ruhig da und beachteten die Kinder kaum – mit Ausnahme von Liza, der sie hin und wieder einen Blick zuwarfen. „Wir möchten eine Audienz beim König“, sagte Emma nun zu den Soldaten. „Der König hält keine Audienz in diesem Monat“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, sahen sie den Kanzler des Königs am Tor stehen, der wegen des lauten Gebells der Hunde gekommen war, um nachzusehen, was los war. „Bitte, Herr Kanzler“, begann Ike, „wir haben nur eine kurze Frage.“ „Was ist mit den Hunden los?“, fragte der Kanzler die Soldaten, ohne auf Ikes Bitte einzugehen. „Das kleine Mädchen hat sie irgendwie um den Finger gewickelt, sagte der eine Soldat etwas schuldbewusst und zeigte auf Liza, der es plötzlich ganz heiss wurde. „So, so. Ihr seid ganz schön mutig. Ich werde daher schauen, ob der König nicht doch einen Augenblick Zeit für euch hat. Wartet hier.“ Der Kanzler wandte sich ab und trat ins Schloss. Die Kinder wagten kaum zu atmen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Kanzler zurückkehrte. „Der König gewährt euch eine kurze Audienz. Kommt mit“. Den Kindern hüpfte das Herz, als sie hinter dem Kanzler die vielen langen Gänge im Schloss entlang marschierten. Vor einer grossen Doppelflügeltüre blieben sie stehen. „Ihr geht hinein. Ich warte hier, bis ihr wiederkommt. Sprecht den König mit „Eure Majestät“ an“. Er stiess die Türe auf und als die Kinder zögerten, machte er ein energisches Zeichen mit der Hand und schubste Mike, der ihm am nächsten stand, sanft aber bestimmt in den Rücken. Die Kinder traten ein und der Kanzler schloss hinter ihnen die Türe. Neben ihnen standen nun zwei grosse Soldaten, die mit versteinerter Miene über sie hinwegsahen. Am anderen Ende des Saales sass der König auf einem grossen Stuhl mit einer hohen Rückenlehne. Er trug einen roten Mantel und eine kleine goldene Krone auf dem Kopf. Er wirkte etwas erschöpft und stütze sich auf einen grossen Stab. Dicht neben ihm stand der 2. Kanzler und Berater. „Tretet näher!“ rief der Berater und die Kinder gingen zögernd nach vorne. „Nun – uns wurde gesagt, ihr seid mutige Kinder. Seine Majestät der König, Sire Henry von Eichenwald, gewährt euch daher ausnahmsweise diese Audienz. Was ist euer Begehr?“ Alle Augen richteten sich auf Emma, der die Knie plötzlich ganz weich wurden. Sie musste erst mal leer schlucken. Dann aber nahm sie allen Mut zusammen: „Eure Exzellenz, wir möchten gerne fragen, weshalb Sie die Geschenke verbrennen möchten“. Es entstand eine Pause. Der König sah sie regungslos an und schwieg. Emma begann jetzt wie in ihrem Taum zu schwitzen. Hatte sie etwas Falsches gesagt.? Waren sie zu frech gewesen? Hatte der König sie wie im Traum nicht verstanden? Sollte sie alles nochmal sagen? Ihr wurde fast schwindelig. In diesem Moment antwortete der König mit spöttischer Stimme: “Weihnachten. Dass ich nicht lache. Was für ein Unsinn und eine Verschwendung. Was für ein dummes Gehabe und Getue. Welche Heuchelei! Was für ein Geschwafel über Liebe und Glaube. Welches Volk ist so dumm, dass es Weihnachten braucht. Ich werde meinen Untertanen zeigen, dass Weihnachten vollkommen unnütz ist. Dieses Jahr werden wir alle Geschenke verbrennen und in ein paar Jahren wird sich niemand mehr an Weihnachten erinnern und niemand wird es vermissen. Die Zeit wird wieder für sinnvolle Dinge genutzt werden und alle werden glücklicher sein. Deshalb werden die Geschenke verbrannt. Und nun, da ich eure Frage ausreichend beantwortet habe, ist die Audienz beendet. Geht!“ Die Kinder sahen sich noch etwas ratlos an und zögerten, aber hinter ihnen ging die Türe auf und der Kanzler trat herein und machte ihnen ein hastiges Zeichen, ihm zu folgen. Emma machte noch rasch einen kleinen Knicks vor dem König und lief dann rasch mit den anderen Kindern hinter dem Kanzler nach draussen. „Ihr wart wirklich tapfer, Kinder“ versuchte der Kanzler die Kinder etwas zu trösten, weil er sah, wie sie die Köpfe hängen liessen. „Aber nun geht nach Hause. Ihr könnt hier nichts mehr tun.“ Auf dem Rückweg wurde kaum gesprochen. So hatten sich die Kinder die Audienz nicht vorgestellt. Wie dumme kleine Kinder hatten sie sich gefühlt. Und dabei hatten sie doch noch den König bitten wollen, die Geschenke wieder herauszugeben. Aber nicht einmal das hatten sie sich getraut. Allen voran Emma. Sogar ihr Traum schien ihr jetzt angenehm im Gegensatz zur bitteren Wirklichkeit. Traurig, enttäuscht und wütend waren sie. „Kommt morgen wieder zu mir“, sagte Liza schliesslich zum Abschied. Meine Mutter sagt: „Es findet sich immer ein Weg – manchmal muss man einfach etwas länger suchen“. Die Kinder nickten stumm. Heute war ihnen nicht mehr nach Suchen zumute. Jetzt wollten sie sich nur noch in ihre Decken kuscheln, schlafen und diese Audienz möglichst rasch vergessen.
Am nächsten Tag sassen die Kinder wieder im Waldhäuschen bei Liza. Ihre Laune hatte sich gegenüber gestern doch schon einiges gebessert. Das lag auch daran, dass sie viele Komplimente erhalten hatten. Es hatte sich natürlich im Dorf rasch herumgesprochen, dass vier Kinder eine Audienz beim König erhalten hatten, die den Erwachsenen verwehrt worden war. Die Leute im Dorf waren stolz auf die Kinder, die sich so für Weihnachten eingesetzt hatten. Dass die Kinder bei der Audienz nichts erreicht hatten, spielte dabei keine Rolle. Auch die Erwachsenen hatten kaum gehofft, dass der König auf ihren Wunsch, Weihnachten doch stattfinden zu lassen, eingegangen wäre. So erzählten sich die Kinder nochmals alles, was sie gestern erlebt hatten und waren am Ende doch recht zufrieden. „Trotzdem haben wir nichts erreicht und der König wird unsere Geschenke nun doch verbrennen“, warf Mike aber schlussendlich betrübt ein. „Nicht, wenn uns noch was Gutes einfällt“, warf Emma ein. „Aber Emma“, meinte Ike, „nun überlegen wir schon seit mehreren Tagen und haben sogar den König besucht. Was sollte uns denn noch einfallen?“ „Wir haben einfach keine andere Wahl“, sagte Emma. Die anderen Kinder sahen sie verständnislos an. „Es ist doch klar“, begann Emma und fuhr fort: „Der König hat uns unsere Geschenke weggenommen. Er ist zwar unser König. Aber er darf sich doch trotzdem nicht alles erlauben. Und er hatte noch nicht einmal einen richtigen Grund. Ich meine, nur weil er etwas gegen Weihnachten hat, muss er doch nicht allen den Spass verderben. Das war nicht richtig.“ „Und was willst du uns damit sagen“, fragte Liza, die sich nicht vorstellen konnte, auf was Emma eigentlich hinauswollte. Mike stöhnte leise. Er kannte seine Schwester nur zu gut und hatte längst begriffen, was sie vorhatte. „Das geht nicht, Emma“, sagte er bestimmt, „wir können uns die Geschenke vom König nicht wieder zurückholen“. Liza sah Emma mit grossen Augen an: „Du willst die Geschenke zurückstehlen“, flüsterte sie – einerseits hatte es ihr gerade die Sprache etwas verschlagen und andererseits wollte sie vermeiden, dass ihre Mutter etwas davon hören konnte. Die war zum Glück gerade in der Küche mit der Vorbereitung des Mittagessens beschäftigt. „Hört zu“, sagte Emma. „Mein Plan sieht so aus“ und nun begann auch sie zu flüstern. „Wenn dir jemand was wegnimmt, das dir gehört, darf man es sich zurücknehmen. Das ist nichts Unrechtes. Die Geschenke gehören uns und wir holen sie uns einfach zurück.“ „Das wird der König nicht zulassen“, warf Liza ein. „Und der König hat bewaffnete Soldaten“, ergänzte Ike. Eine merkwürdige Spannung hatte die Kinder gepackt. Sie steckten die Köpfe jetzt eng zusammen und sahen sich verschwörerisch an. „Wir werden im Gefängnis landen“, sagte Mike. „Der König wird es sich nicht gefallen lassen, dass wir uns seinen Befehlen widersetzen. Habt ihr schon vergessen, wie unfreundlich er gestern war und da haben wir ihm noch nicht einmal etwas gemacht.“ „Er wird es nicht einmal merken“, sagte Emma mit listiger Miene. „Er wird nicht merken, dass wir die Geschenke vom Dorfplatz wegtragen?“ fragte Liza und schüttelte den Kopf. „Emma, ich versteh’ überhaupt nichts mehr“. Emma schaute sie triumphierend an: “In der Nacht werden wir die Geschenke hier in den Wald bringen. Wir packen sie aus, vertauschen den Inhalt mit Brennholz und legen die Geschenke, also das verpackte Brennholz, wieder zurück. Niemand wird davon etwas merken, weil die Geschenke ja verbrannt werden, ohne dass sie ausgepackt werden.“ An Heiligabend werden die falschen Geschenke verbrannt und wir verteilen anschliessend im Dorf die richtigen“. „Aber Emma“, entgegnete Mike, „es liegen wahrscheinlich über 100 Geschenke auf dem Dorfplatz. Wie sollen wir das schaffen?“ „Das ist kein Problem“. Wir haben noch viele Nächte bis Heiligabend. Wenn wir nur pro Nacht 10 Geschenke vertauschen können, reicht es locker“, wusste Emma auch eine Antwort auf diese Frage. „Wir schleichen uns bei Dunkelheit zum Dorfplatz. Die Geschenke packen wir in unsere Rucksäcke für das Brennholz. Es gibt nur wenige Soldaten, die den Platz bewachen und in der Nacht sitzen sie in ihrem Zelt hinter dem Dorfplatz. Nur die beiden Hunde der Soldaten sind wach, aber um die kann sich Liza kümmern“. Emma sah Liza fragend an. „Einverstanden“, sagte Liza nach kurzem Nachdenken. „Wir sollten es versuchen“. Die Mädchen sahen nun die Jungs an: „Ohne euch geht es nicht. Ihr müsst uns helfen, die Geschenke wegzutragen und zurückzubringen“, flehte Emma ihre Brüder an. Ike und Mike blickten sich an. Der Plan war tollkühn und verwegen und gefährlich obendrein. Aber wenn die Mädchen genügend Mut hatten, ihn zu wagen, wollten sie nicht weniger tapfer sein. Mike schluckte und flüsterte: „Wir sind dabei“. „Gut“, antwortete Emma erleichtert. Sie war nicht sicher gewesen, ob sie ihre Brüder überzeugen könne. „Heute Nacht geht’s los“. Wir treffen uns kurz nach Mitternacht hinter dem Dorfplatz beim Eingang zur Kirche.“
Gerade als die Kirchturmuhr Mitternacht schlug, schlichen die vier Kinder vorsichtig zum Eingang der Kirche. Dort war es stockdunkel und niemand hätte sie erkennen können, wenn jemand auf den Strassen unterwegs gewesen wäre. Das war aber ohnehin nicht der Fall. Die Leute im Dorf schliefen fest und es gab keinen Grund, sich um diese Zeit noch draussen herumzutreiben. Die Kinder waren in dicke Jacken eingehüllt, trugen zwei Paar Hosen übereinander und waren mit Schal und Mütze vermummt, denn es war eisig kalt. Ike und Mike trugen ihre grossen Rucksäcke. Bevor sie sich am Vorabend getrennt hatten, waren sie ihren Plan noch einmal durchgegangen: Liza sollte sich zuerst um die Hunde kümmern. Die schliefen nachts in zwei kleinen Hütten auf der Bühne neben den Geschenken. Am Tag bewachten die Soldaten die Geschenke und die Hunde kehrten ins Schloss zurück. Die Soldaten vertrauten offenbar darauf, dass die Hunde mögliche Diebe in der Nacht abhalten oder zumindest Alarm schlagen würden, so dass sie es sich im Zelt etwas bequemer machen konnten und sie sich nicht die Füsse abfrieren mussten. Wenn Liza das Vertrauen der Hunde gewonnen hatte, würden die Kinder leise dazu kommen. Sie würden etwa 10 Geschenke in die Rucksäcke von Ike und Mike packen und damit in einen etwas abgelegenen leerstehenden Stall gehen. Dort hatten sie bereits alles vorbereitet, um die Geschenke vorsichtig auszupacken und dann das Geschenkpapier wieder dazu zu verwenden, um Holzstücke in der gleichen Grösse wie die Geschenke wieder einzupacken. Danach würden sie die vertauschten Geschenke wieder auf die Bühne zurückbringen. In den folgenden Nächten sollten so alle Geschenke vertauscht werden. Die Kinder waren zuversichtlich, dass nichts schiefgehen konnte. „Ich gehe jetzt“, flüsterte Liza. „Kommt in zehn Minuten nach“. Die Kinder sahen Liza nach, wie sie in der dunklen Nacht verschwand. Liza lief so leise sie konnte zur Bühne. Von den Wachen war nichts zu sehen. Das Zelt der Soldaten etwas abseits der Bühne war von Laternen matt erleuchtet In der Stille der Nacht hörte man ihre Stimmen murmeln, ohne zu verstehen, über was sie sich unterhielten. Vorsichtig kletterte Liza die Leiter zur Bühne hoch, die leise knarrte. Jetzt konnte sie in der Mitte der Bühne die beiden Hundehütten sehen und hörte die Atemzüge der grossen Hunde. Liza zögerte. Die Hunde würden erschrecken, wenn sie sie einfach so wecken würde. Sie war sich auch nicht sicher, ob sich die Hunde sofort an sie erinnern würden. Etwas unentschlossen tastete sie sich vorwärts, streifte dabei einen Stapel mit Geschenken, so dass ein kleines Paket zu Boden fiel, welches zwar kein lautes Geräusch verursachte, aber in der Stille auf Lisa wie ein Donnerschlag wirkte. Die Hunde schreckten sofort auf und begannen – wie Liza befürchtet hatte – sofort laut an, zu bellen. „Pscht, meine Lieben“ zischte Liza so leise, wie möglich, aber doch laut genug, damit die Hunde sie hören konnte. „Ich bin’s doch nur, Liza“. Die Hunde hatten den Geruch von Liza sofort wiedererkannt, verstummten und kamen neugierig zu ihr gelaufen. Liza hörte wie zwei Soldaten, vom Bellen der Hunde alarmiert, gelaufen kamen. Schnell duckte sie sich hinter einen grossen Geschenkberg, als die Wachen auf die Bühne spähten. „Es ist nichts“, rief der erste Soldat dem anderen zu und begann in der Kälte zu bibbern. „Sicher nur eine Katze, die die Hunde foppen wollte“. Lass uns zurück ins warme Zelt gehen. „Diese Hunde jagen keine Katzen“, widersprach der andere. „Jedenfalls ist hier niemand, sonst hätten die Hunde auch nicht aufgehört zu bellen. Vielleicht haben sie nur schlecht geträumt“ versuchte der erste Soldat zu beschwichtigen. „Schon möglich“, murmelte der zweite Soldat. „Aber meistens jaulen sie dann nur im Schlaf oder bellen ganz kurz. Jetzt sind die Hunde aber wach“. Er blickte misstrauisch zu den Hunden, die es sich wieder in ihren Hütten bequem gemacht hatten. Da sie aber nichts weiter bemerkten, kehrten sie in ihr Zelt zurück. Emma und ihre Brüder hatten das Bellen gehört und einen mächtigen Schreck bekommen. Als sie dann noch die Soldaten hörten, kauerten sie sich dicht aneinander und wagten kaum zu atmen. Als sie merkten, dass die Soldaten in ihr Zelt zurückkehrten, seufzte Mike tief. „Nun nur schnell zu Liza“. Liza war in der Zwischenzeit wieder zu den Hunden geschlichen und flüsterte leise mit ihnen. Sie sollten nicht noch einmal erschrecken, wenn Ike, Mike und Emma kamen. Tatsächlich spitzten sie nur kurz die Ohren, als die Kinder leise die Leiter heraufschlichen. „Gut gemacht“, flüsterte Emma Liza zu. „Jetzt lass uns schnell die Geschenke einpacken und von hier verschwinden“. Die Kinder sahen sich um. Sie mussten mit System vorgehen, sonst würden sie am Ende nicht mehr wissen, welche Geschenke sie schon ausgetauscht hatten. Sie hatten sich vorgenommen, an einem Ende der Bühne anzufangen und sich dann in einer Schlangenlinie vorzuarbeiten. Ike hatte ein Stück Kreide mitgenommen und würde einen unverdächtigen Strich dort am Boden machen, wo sie die nächste Nacht weiterarbeiten mussten. Ike, Mike, und Emma machten sich daran, die ersten Geschenke in die Rucksäcke zu verstauen. Liza blieb bei den Hunden und hielt sie ruhig. Nach kurzer Zeit waren die Rucksäcke der Jungen gefüllt. Emma gab Liza ein Zeichen zum Aufbruch. „Tschüss ihr Süssen“, flüsterte Liza den Hunden zu. Leise begannen die Kinder rückwärts die Treppe von der Bühne hinunter zu steigen. „Na dann kommt mal schön langsam runter“, rief plötzlich eine laute Stimme hinter ihnen. Die Kinder erschraken zu Tode und Ike mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken wäre fast von der Treppe gefallen, konnte sich aber in letzter Sekunde noch festklammern. Hinter ihnen standen die zwei Soldaten mit gezogenen Schwertern. „War doch nicht so dumm von mir, nochmals nachzuschauen“, sagte der eine Soldat zum anderen. „Tatsächlich!“ rief der andere. „So haben wir vier dreiste Diebe geschnappt. Der König wird sie in ein dunkles Verlies werfen und sehr zufrieden mit uns sein“. Die Kinder stiegen mit zitternden Knien die Treppe hinunter und standen ratlos und eingeschüchtert vor den Soldaten. Jetzt wussten sie tatsächlich nichts mehr zu sagen. „Los, ins Zelt mit euch. Und versucht nicht davon zu laufen. Ich habe euch eh schon erkannt. Ihr seid die vier Gören, die vorgestern beim König waren.“ Mit gesenkten Köpfen trotteten die Kinder hinter dem ersten Soldaten her, während der zweite am Schluss darauf achtete, dass sie nicht doch noch Reissaus nehmen würden. Aber die Kinder dachten nicht einmal daran. In ihren Köpfen drehte sich alles, ohne dass sie einen klaren Gedanken fassen konnten. Im Zelt sahen sie den Kanzler an einem kleinen Tisch sitzen. Er sah auf, als sie eintraten und staunte wohl ebenso wie die Kinder, die etwas erleichtert waren, als sie ein vertrautes Gesicht sahen. „Diese vier Kinder haben versucht, die Geschenke des Königs zu stehlen. Wir haben sie auf frischer Tat ertappt und verhaftet. Wir müssen sofort den König alarmieren“, sagte einer der Soldaten zum Kanzler mit strenger Stimme. „Das würde ich mir gut überlegen“, antwortete der Kanzler erstaunlich ruhig. „Es könnte sein, dass der König ärgerlicher ist über diejenigen, die ihn wegen eines Kinderstreichs zu dieser Stunde wecken, als über diese vier Kinder, die ihn vorgestern mit ihrem Mut beeindruckt haben“. Die Soldaten sahen sich fragend an. „Aber der König hat doch befohlen, ...“ begann der zweite Soldat. „Der König hat befohlen, die Geschenke zu bewachen“, unterbrach ihn der Kanzler jetzt barsch. „Das habt ihr getan. Gut gemacht. Um die Kinder kümmere ich mich jetzt. Es ist nicht nötig, den König wegen einer Lappalie zu behelligen. Geht und kontrolliert nochmals die Bühne und nehmt die Leiter ab.“ Die Soldaten murmelten noch etwas beleidigt, das wie „zu Befehl“ klang, machten kehrt und verliessen das Zelt. Die Kinder atmeten zum ersten Mal seit ihrer Verhaftung tief durch, waren aber noch immer ängstlich und unsicher über das, was jetzt kommen würde. „Das war sehr dumm von euch“, sagte der Kanzler mit derselben strengen Stimme, mit der er gerade zu den Soldaten gesprochen hatte. „Ich hätte mehr Verstand von euch erwartet. Ich müsste euch jetzt eigentlich einsperren.“ „Bitte“, flüsterte Emma, „es ist nur meine Schuld. Ich hatte die Idee. Die anderen können nichts dafür“. „Das spielt jetzt keine Rolle mehr“, sagte der Kanzler barsch. „Ihr alle habt des Königs Befehl missachtet. Das war töricht. Weil ihr vorgestern viel Mut bewiesen habt, kann ich heute nochmal ein Auge zudrücken. Aber solltet ihr nochmal versuchen, die Geschenke an euch zu nehmen, werde ich dem König Meldung machen und dann kann ich nichts mehr für euch tun. Habt ihr das verstanden?“ Die Kinder nickten stumm. „Und jetzt ab mit euch nach Hause. Ihr gehört schon lange in eure Betten!“
Der Tag nach dem erfolglosen Versuch der Kinder, die Geschenke mit Brennholz zu tauschen, war trostlos. Die Kinder mochten ihr Abenteuer in der Nacht vor den Eltern nicht verbergen und sowohl Mama und Papa von Emma, Mike und Ike als auch die Mutter von Liza tadelten ihre Kinder und erlaubten ihnen nicht, sich zu treffen. Am nächsten Tag aber sassen sie wieder in der Stube von Liza. „Der Plan war gut“, meinte Liza, „wenn die Soldaten nicht noch mal nachgeschaut hätten, hätte er prima geklappt“. „Wir haben vor allem Glück gehabt, dass der Kanzler uns hat laufen lassen“, warf Ike ein. Ich habe uns schon im Gefängnis Ratten zählen sehen“. „Ich habe jedenfalls keine Lust, es noch einmal zu versuchen“, sagte Mike bestimmt. „Nein“, stimmte Emma zu, „der Plan war zu gefährlich. Ich hätte euch nicht in Gefahr bringen dürfen“. „Hör auf, dir Vorwürfe zu machen“, erwiderte Liza etwas ärgerlich. „Es war schliesslich unser gemeinsamer Entscheid und wenn du eine neue Idee hast, bin ich jedenfalls wieder dabei.“ Emmas Miene hellte sich bei diesen Worten von Liza auf. Gleich darauf verdüsterte sie sich aber wieder. Nein, sie hatte keine Idee mehr, wie sie die Geschenke vor dem Verbrennen retten sollte. „Hat jemand von euch vielleicht noch einen zündenden Gedanken“? fragte sie gedankenverloren und sah aus dem Fenster auf die kleine Futterkrippe, wo zwei Häschen sich gerade über die ausgelegten Mohrüben hermachten. Die anderen Kinder schwiegen. Wenn schon Emma nichts mehr einfiel, wie konnten sie dann die Lösung finden. „Doch ja“, sagte Liza plötzlich. „Wenn uns nichts mehr einfällt, müssen wir eben jemand anderen um Rat fragen“. „Aber die Leute im Dorf sind doch genauso ratlos, wie wir“, warf Mike ein, „das hat jedenfalls Papa erzählt“. „Wir fragen nicht irgendjemand, sondern den weisen Mann in den Bergen“, warf Liza ein. Mike warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Du glaubst an dieses Märchen? Das ist doch bloss eine erfundene Person, um den Leuten Hoffnung zu machen, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Niemand glaubt, dass er wirklich existiert.“ „Ich schon“, kam jetzt Ike Liza zu Hilfe. „Den weisen Mann in den Bergen gibt es wirklich. Felix, unser Nachbarssohn hat mir erzählt, dass ein entfernter Cousin seines Onkels ihn getroffen habe. Er habe ihm in einem schwierigen Streit mit seiner Schwester geholfen.“ „Felix ist ein fürchterlicher Angeber und Geschichtenerzähler“, entgegnete Mike genervt. „Ich hätte nicht gedacht, dass du ihm glaubst“. Über den weisen Mann in den Bergen erzählte man sich viele Geschichten und einige glaubten an ihn, andere nicht. Ein paar Tagesreisen entfernt in den Bergen sollte ein Einsiedler, wohnen, von dem man sich Rat holen konnte, wenn man in einer Angelegenheit nicht weiterwusste. Sein genauer Aufenthalt war niemandem bekannt und viele Geschichten rankten sich darüber, wer er in Wirklichkeit war und wovon er lebte. Manch einer glaubte deshalb, es handle sich beim weisen Mann bloss um eine erfundene Figur. Andere aber versicherten, dass sie ihn selber gesehen und er ihnen, wie kein anderer, guten Rat gegeben hätte. Die Reise zu ihm – wenn es ihn denn gäbe - führte zunächst durch den Wald, dann über einen breiten Fluss, über eine Ebene und schliesslich in die Höhe bis zum Gipfel hoher Berge zu einer alten Herberge. Von dort aus musste man ihn suchen. „Und nie und nimmer lassen uns unsere Eltern eine solche Reise unternehmen“ fuhr Mike jetzt fort. „Zu Fuss ist die Reise hin und zurück ohnehin nicht bis Heiligabend zu schaffen“. „Meine Mutter würde mich gehen lassen“, meinte Liza, „nicht wahr, Mama“? Sie wandte sich zu ihrer Mutter, die auf der anderen Seite der Stube am Fenster sass, still nähte, aber natürlich zugehört hatte. Sie legte das Nähzeug weg und schaute die Kinder an. „Eine solche Reise ist nicht ungefährlich. Ihr seid noch recht unerfahrene Reisende. Aber Mut und Hartnäckigkeit habt ihr schon bewiesen. Den Weg zu den Bergen kann man in ein paar Tagen mit Pferden oder Ponies schaffen. Es gibt genügend Hütten und Bauernhöfe unterwegs, in denen man übernachten kann. Es wohnen freundliche Leute dort, die euch den Weg weisen könnten. Der Gutsherr vor dem Dorf hat gutmütige Ponies, die den Weg schon viele Male gegangen sind, weil er mit ihnen Korn zur Mühle am Fluss transportieren lässt. Wenn ihr zu Viert seid und ihr die Ponies vom Gutsherr bekommt, würde ich es Liza erlauben“. Liza sah triumphierend zu den anderen Kindern. Emma blickte ungläubig zu Liza und deren Mutter. Eine solch lange Reise hatte sie ohne ihre Eltern noch nie unternommen. Ike und Mike schüttelten die Köpfe. Sie waren noch nie auf Ponies geritten und allein mehrere Tage unterwegs zu einem Mann, den es möglicherweise gar nicht gab – ein dicker Stein bildete sich in ihren Mägen und ihr Herz begann bei diesem Gedanken schon fest an zu schlagen. Liza sah, dass ihre Freunde zögerten. „Bitte Mama“, rief sie, „sprich du mit den Eltern von Emma“. Die Mutter sah die Kinder fragend an: „Wenn ihr wollt, mache ich das gern.“ Die Kinder nickten. Sie waren eigentlich sicher, dass ihre Eltern eine solche Reise nicht erlauben würden und wussten aber nicht so recht, was sie sich wünschen sollten. Nun ging plötzlich alles sehr schnell. Die Mutter von Liza traf sich mit den Eltern der Kinder und erzählte ihnen von der geplanten Reise. Die einzelnen Etappen waren mit Ponies in etwa jeweils vier bis fünf Stunden zu schaffen. Die Zwischenziele konnte man nicht verfehlen, wenn man auf dem Weg blieb. Am Tag drohten keine Gefahren. Liza und Emma waren erfahrene Reiterinnen, die mit Ponies gut umzugehen wussten. Zwei grosse Ponies würden genügen, um die vier Kinder und ihr Gepäck zu tragen. Die Leute in den Hütten und Bauernhöfen kannte die Mutter von Liza persönlich und diese hatten genügend Platz für die Kinder und die Ponies. Sie waren gastfreundlich und gewohnt, Reisende aufzunehmen. Die Eltern der Kinder waren skeptisch, versprachen aber, es sich bis zum nächsten Morgen zu überlegen. Die Kinder konnten an diesem Abend kaum einschlafen. Je länger sie über die Reise nachdachten, je mehr begannen sie sich auf sie zu freuen und schlussendlich wünschten sie sich nichts sehnlicher, als dass ihre Eltern ihnen die Reise erlauben würde. Selbst Mike, der dem Unternehmen skeptisch gegenübergestanden hatte, war jetzt von Abenteuerlust gepackt. „Lass uns die Daumen drücken und hoffen, dass es den grossen Unbekannten gibt und wir ihn finden!“ meinte er zu Ike. Ike sagte nichts, liess aber die Daumen in seiner Faust verschwinden.
Die Antwort der Eltern kam gleich nach dem Aufstehen der Kinder. Sie würden die Reise erlauben. Sie hatten bereits einen guten Freund gebeten, voranzureiten und die Unterkünfte der Kinder anzuschauen und die Leute über die Ankunft der Kinder zu informieren. Obwohl sich Emma, Mike und Ike freuten, waren sie jetzt etwas über ihren eigenen Mut erschrocken und fühlten erneut einen schweren Stein im Magen. Sie hatten noch nie eine so lange Reise alleine unternommen und beim Gedanken, ihre Eltern fast bis Weihnachten nicht zu sehen, wurde ihnen etwas bang. „Schnell!“, rief Emma ihren Brüdern aufgeregt zu, „das müssen wir gleich Liza erzählen und dann müssen wir uns um die Ponies kümmern“. „Nun mal langsam“, sagte ihr Vater und schmunzelte. „Immer der Reihe nach: Lizas Mutter weiss schon Bescheid. Wir haben vereinbart, dass heute Vormittag zunächst eure Sachen gepackt werden. Ihr könnt nicht allzu viel mitnehmen. Wir fangen mit den Kleidern an. Ihr werdet unterwegs waschen müssen, sonst müsstet ihr ja Sachen für knapp zwei Wochen mitnehmen. Ein zusätzlicher warmer Pullover, Ersatzhandschuhe und Mütze, ein Schal, Unterwäsche zum Wechseln, warme Socken. Dann braucht ihr ein Necessaire für Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife, Pflaster, Salbe für kleinere Wehwechen, eine kleine Nagelschere, eine Pinzette. Den Tagesproviant werdet ihr jeweils in den Unterkünften neu erhalten. In den Rucksäcken ist eine Thermoskanne, in die jeden Tag warmer Tee eingefüllt wird. Als Zwischenverpflegung und Notvorrat legen wir euch etwas Zwieback, getrocknetes Fleisch und Honig dazu. Jeder von euch bekommt noch eine lange Wolldecke. Die legt ihr beim Reiten über eure Beine, damit ihr nicht friert. Es wird kalt auf den Ponies sein, obwohl wir noch nicht sicher sind, ob der Gutsherr sie uns überhaupt gibt. Er meinte, er müsse sich das zuerst noch überlegen. Ausserdem bekommt ihr etwas Geld mit. Ihr braucht zwar für die Unterkünfte nichts zu bezahlen, aber man kann nie wissen.“ Die Kinder staunten. Es schien ihnen schon jetzt viel Gepäck und irgendwie trotzdem sehr wenig, wenn sie an all die Sachen dachten, die sie zurücklassen würden. „Wollt ihr sonst noch etwas Spezielles mitnehmen“, fragte ihr Vater. Die Kinder überlegten. „Ich nehme meinen Türkis-Stein mit“, sagte Emma gleich. Sofort stand sie auf und holte in ihrem Zimmer einen grün-bläulich schimmernden flachen, runden Stein, der durch ein kleines Loch mit einem schwarzen Lederband verknüpft war. Sie hatte ihn erst vor ein paar Wochen als Schmuckstück von ihrer Tante Tilde bekommen. „Tilde sagte, der Stein schütze Reisende vor allem Unglück“ und zog sich dabei das Lederband mit dem Stein über den Kopf. „Dann kann ja nichts passieren“, lächelte der Vater. „Ich nehme mein Taschenmesser mit“, sagte Ike. „Das kann man immer brauchen“. Er wickelte es in ein paar Socken und steckte es in seinen Rucksack. Mike zögerte. Es kam ihm eigentlich nichts in den Sinn, was ihm derart wichtig war, dass er es unbedingt dabeihaben musste. Gleichzeitig wollte er aber auch nicht der Einzige sein, der nichts Spezielles mitnahm. „Mal sehen“, sagte er ausweichend. „Ich muss mich ja jetzt noch nicht entscheiden“. „Ich hoffe bloss, wir bekommen die Ponies“, warf Emma aufgeregt dazwischen ein. „Ihr trefft Liza beim Gutsherren nach dem Mittagessen. Falls er einverstanden ist, wird er euch dann alles über die Ponies erklären und mitgeben, was sie unterwegs brauchen. Jetzt packen wir zuerst einmal eure Sachen.“ Die Kinder machten sich daran, ihre Sachen einzupacken und redeten dabei unentwegt von ihrer Reise. Am Nachmittag trafen sich alle beim Gutsherrn, einem grossen, stattlichen etwas älterem Mann, der die Kinder eingehend musterte. „Ich habe schon gehört, dass ihr eine lange Reise unternehmen wollt. Nachdem mir eure Eltern versichert haben, dass die Mädchen gut mit Ponies umzugehen wissen, will ich sie euch gerne ausleihen.“ Die Kinder sahen sich etwas verstohlen strahlend an. „Aber seid auf der Hut,“ fügte der Gutsherr hinzu, „und bringt mir sie gesund zurück – klar?“ Er sah die Kinder einzeln in die Augen. „Das machen wir bestimmt – vielen Dank“, sagte Liza, die ihre Sprache als Erste wiedergefunden hatte. „Nun gut, Jay, meine Stallmeisterin, wird euch die Ponys zeigen“. Jay war eine junge Frau in engen Reithosen und Reitstiefeln. Sie lächelte freundlich: „Ich habe schon gehört, dass die Mädchen gut reiten können und sich mit Aufzäumen und Satteln gut verstehen“. Sie wandte sich zu einem braun-weiss gefleckten Ponie mit gutmütigem Blick, das hinter ihr an einem Zaun angebunden war. „Dies hier ist Efe“, sagte sie zu Emma. „Sie wird euch sicher führen. Sie hat vor nichts Angst und mag Kinder. Einzig vor Gewittern müsst ihr euch in Acht nehmen. Dann müsst ihr sie in einen Unterschlupf bringen oder gut anbinden, sonst wird sie euch davonlaufen. Nach dem Tagesritt müsst ihr die Ponies gut trockenreiben und bürsten. Das ist auch wichtig, damit sich kein Ungeziefer im Fell einnistet. Futter bekommen die Ponies in den Herbergen, das ist schon abgemacht. Sie sollten euch nicht länger als vier Stunden am Tag tragen. Wenn ihr länger unterwegs seid, steigt ab und lauft und gönnt euch und den Pferden auch zwischendurch mal eine Pause. Für Liza habe ich dieses Pony ausgesucht und zeigte auf ein dunkelbraunes Pony, welches neben Efe stand und neugierig auf die Kinder blickte. „Das Pony kennt alle Wege von hier bis zu den Bergen. Wenn er euch mag, wird er euch treu zur Seite stehen und nie im Stich lassen. Efe vertraut ihm und wird ihm überall hin folgen. „Wie heisst er“, fragte Liza neugierig und liess ihn an ihrer Hand schnuppern. „Sein Name ist Sadi. Er gehört mir. Er ist auch ein wenig stolz. Das kommt vielleicht daher, weil er bis vor kurzem sehr vornehm untergebracht war. Also behandelt ihn gut.“ „Kommt morgen früh mit eurem Gepäck“, unterbrach sie der Gutsherr, „dann werden die Ponies bereit sein“.
Wahrscheinlich waren die Eltern mindestens genauso nervös, wie die Kinder, denn alle waren schon früh aufgewacht. Es war ein wunderschöner, sonniger Wintertag. Liza hatte darauf bestanden, dass sie diese Nacht bei ihren Freunden übernachten konnte und so schlief Liza zusammen mit Emma in ihrem Bett. Die Mutter von Liza hielt es nicht zu Hause aus und die Eltern der anderen Kinder hatten ihr anerboten, ebenfalls bei ihnen auf dem Sofa zu übernachten. Obwohl die Kinder ihre Sachen vor dem Schlafengehen nochmals genau kontrolliert hatten, nahmen sie alle ihre Gepäckstücke nach dem Aufstehen gleich nochmal hervor, um sie sorgsam wieder in ihren Rucksäcken zu verpacken. Mike hatte sich entschieden, ein langes Seil mitzunehmen. Vielleicht musste man mal etwas anbinden oder sich abseilen. Auf jeden Fall konnte ein Seil nur nützlich sein. Liza hatte nur gelacht, als Ike sie gefragt hatte, was sie denn dabeihätte. „Nun, ich kann mir jederzeit ein Messer oder ein Seil ausleihen und wenn ich nah genug bei Emma reite, wird mir sicherlich ihr Stein ebenfalls etwas Schutz bieten. So muss ich kein zusätzliches Gepäck mitnehmen und habe doch alles dabei, was ich brauche – nämlich drei Freunde.“ Die Eltern versuchten noch vergeblich, den Kindern allerlei wichtige Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Niemand hörte mehr richtig zu und die Kinder drängten, endlich beim Gutsherrn die Ponies abzuholen. Schliesslich war es soweit: Jay stand mit den Ponies schon vor dem Stall und winkte den Kindern von Weitem zu. „Kommt“, rief sie den Kindern zu. „Emma und Liza können den Jungs mal zeigen, wie ihr die Ponies sattelt.“ Das war für die Mädchen kein Problem und im Nu standen die Ponies neugierig gesattelt bereit für den Beginn der Reise. Jay nickte den Mädchen anerkennend und den Eltern beruhigend zu. „Prima. Ich glaube, das wird eine tolle Reise, selbst wenn ihr den weisen Mann nicht finden würdet“. „Natürlich finden wir ihn“, entgegnete Liza und kontrollierte nochmals die Gurte. „Die erste Etappe verläuft im Wald. Ihr bleibt auf dem breiten Waldweg und zweigt nirgends ab. Nach etwa vier Stunden Reitzeit werdet ihr auf eine grosse Waldhütte mit einem angebauten Stall treffen. Das wird euer erstes Nachtlager sein. Der Besitzer heisst Harry. Er ist ein freundlicher alter Mann und weiss Bescheid. Auf dem Weg hat es sonst keine Hütten, ihr könnt es also nicht verfehlen. Solltet ihr euch trotzdem je verirren, steigt einfach ab und lasst euch von den Ponies führen. Sadi würde euch wieder hierher nach Hause bringen. So und jetzt mal ab auf die Ponies.“ Liza setzte sich auf Efe und Jay half Mike, sich hinter sie zu setzen. Emma stieg auf Sadi und zog Ike zu sich hoch. Den Ponies schien das alles nichts auszumachen. Die Eltern gaben ihren Kindern noch je einen dicken Kuss auf die Backe und wünschten viel Glück. Der Vater schaute die vier nochmals ernst an: „Egal welche Hindernisse sich euch in den Weg stellen werden. Gebt vor allem gegenseitig aufeinander acht – dann kann euch nichts passieren“. So schauten die Erwachsenen zu, wie die kleine Truppe auf das Kommando von Liza lostrottete und langsam auf dem Weg zum Wald verschwand. Zu Beginn diskutierten die Kinder noch wild, wie sie den weisen alten Mann wohl finden und um Rat fragen würden. Wie sie dann mit der Lösung des Rätsels zurück ins Dorf geritten kämen und die Geschenke vor dem Verbrennen bewahren könnten. Ike und Mike war es zu Beginn noch etwas unwohl auf den Ponies. Mit der Zeit gewöhnten sie sich an den Gang der Tiere und begannen, den Ritt zu geniessen. Je tiefer sie in den Wald hineinritten, desto dunkler wurde es, trotz des hellen Wintertages. Die Gespräche der Kinder verstummten zunehmend und schlussendlich hörte man nur noch das eintönige Klipp Klapp der Ponyhufe, auf dem leicht verschneiten Waldweg. Nach etwa zwei Stunden gönnten sie sich eine Pause und stiegen ab. Sie gaben den Ponies etwas Futter aus den Satteltaschen und gönnten sich selber etwas warmen Tee und Kuchen, den Lizas Mutter zum Abschied gebacken hatte. Ike und Mike schauten sich etwas ängstlich um. Sie waren an keine Wegegabelung gekommen und waren so sicher, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Trotzdem machte ihnen die Einsamkeit und die Stille des Waldes etwas zu schaffen. „Glaubst du, hier hat es wilde Tiere“, fragte Mike Liza. „Mein Vater meinte, es gäbe auch wieder Wölfe hier in der Nähe“. „Wölfe habe ich schon lange keine mehr gesehen oder gehört“, antwortete Liza ruhig. „Aber wenn du einen Bären als wildes Tier bezeichnest, würde ich sagen, ja, es gibt hier wilde Tiere“. Mike fiel vor lauter Schreck fast die Thermoskanne mit dem Tee aus der Hand und die anderen Kinder sahen Liza mit grossen Augen an. „Wie meinst du das?“, fragte Emma vorsichtig. „Wir haben einen Begleiter. Seit fast einer Stunde folgt uns ein Bär. Wahrscheinlich noch ein junger“, erwiderte Liza. „Aber macht euch keine Sorgen. Ich glaube, er fürchtet sich vor uns und den Ponies. Die Ponies scheinen jedenfalls auch keine Angst zu haben, obwohl sie ihn bestimmt schon gewittert haben. Vielleicht hat der Bär unseren Honig geschnuppert und folgt und deshalb“. „Und das sagst du uns erst jetzt? Und wo ist er jetzt gerade?“, fragte Ike und drehte sich nach allen Seiten um. „Ich weiss nicht“, sagte Liza. „Ich glaube, er versteckt sich.“ „Aber Bären halten Winterschlaf“, entgegnete Mike, „also gibt es jetzt hier keine Bären“ „Bären halten nur Winterruhe, keinen Winterschlaf“, korrigierte Liza. Sie haben nur einen leichten Schlaf und wenn sie genügend Futter finden, gibt es auch solche, die keine Winterruhe halten. So wie unserer“. „Unserer“, murmelte Ike, „wir sollten jetzt wohl lieber weiter“, meinte er, schluckte den letzten Bissen Kuchen hinunter und verstaute rasch seine Thermoskanne in seinem Rucksack. „Wir haben doch noch ein rechtes Stück Weg vor uns“. Das war auch Emma und Mike recht. Sie wunderten sich, dass sie von dem Bären nichts bemerkt hatten, wussten aber, dass Liza sie nicht anschwindeln würde. So setzten sie ihre Reise fort. Obwohl sie sich ab und an umdrehten und versuchten, einen Bären zu entdecken, sahen sie nichts, auch wenn sie sich hin und wieder einbildeten, ein Geräusch gehört oder einen Schatten gesehen zu haben. Am frühen Nachmittag erreichten sie die Hütte von Harry, wie von Jay beschrieben. Er hatte sie schon von Weitem erblickt, war zu ihnen hinausgelaufen und begrüsste sie freundlich. Die Kinder führten die Ponies in den Stall, sattelten sie ab, rieben sie trocken und gaben ihnen zu fressen. Erst danach gingen sie zu Harry in die Hütte, der ihnen einen heissen Tee servierte. „Da habt ihr noch eine rechte Reise vor euch“, meinte er. „Zum Glück soll das Wetter schön und trocken bleiben“. Ich erkläre euch den weiteren Weg morgen. Es wird nicht allzu schwierig sein. Nun ruht euch einmal aus. Ich mache euch etwas zum Abendbrot. Liza nahm aus ihrem Rucksack ihren Becher mit Honig und füllte diesen in eine kleine Holzschale. „Was machst du mit dem Honig“, fragte Ike, wusste die Antwort im gleichen Moment aber selber: “Moment mal, du willst doch nicht etwa unseren Bären füttern? Der rückt uns noch auf die Pelle“. „Der tut uns nichts und hat bestimmt auch Hunger“, ingnorierte ihn Liza, zog sich rasch an und verschwand mit Honig und Holzschale für einen kurzen Moment im Wald. „Die hat vielleicht Nerven“, stöhnte Ike. „Am Schluss kehren wir mit einem ganzen Zoo ins Dorf zurück“. „I wo“ verteidigte Emma Liza. „Sie weiss schon, was sie macht“, sah dabei aber nicht gerade überzeugt aus. Die Kinder bekamen eine warme Mahlzeit und lagen schon bald in weichen Betten und dachten an ihren ersten Reisetag, an die kommenden, die sie noch weiter weg von ihren Eltern bringen würden und an die Abenteuer, die noch auf sie zukommen würden.
Die Kinder waren vom ersten Tag müde gewesen. Sie schliefen noch tief und fest, als Harry sie weckte: „Aufstehen, Kinder! Ihr habt heute einen langen Tagesritt bis zur nächsten Hütte vor euch und die Sonne ist schon längst aufgegangen“. Die Kinder sahen sich verschlafen an. Tatsächlich schien die Morgensonne schon hell in ihr Zimmer. Als sich der Geruch von gebratenen Eiern und Speck in ihrem Zimmer breit machten, merkten sie, wie hungrig sie waren, standen schnell auf und waren kurze Zeit später beim Frühstücken. „Wo geht es denn lang zur nächsten Hütte?“ fragte Emma Harry. „Die Hütte ist nicht schwierig zu finden – alles geradeaus, immer auf dem Weg bleiben, den ihr gekommen seid. Aber er geht nochmals durch den Wald und der Pfad wird nach einer Stunde recht schmal. Ihr werdet deshalb nicht rasch vorankommen. Die nächste Hütte gehört meinem Bruder. Sie steht direkt am Ausgang des Waldes.“ Ihr solltet euch jetzt bereitmachen, damit ihr vor Einbruch der Dunkelheit ankommt.“ Die Kinder merkten, dass es ihm Ernst war, weshalb sie sich beeilten. Bald darauf standen sie im Stall sattelten ihre Ponies. Liza hatte noch kurz nach dem Honig gesehen, den sie für den Bären ausgelegt hatte. Triumphierend kam sie mit der leeren Schale zurück: “Bis auf den letzten Krümel ausgeschleckt!“. Ike zog die Augenbrauen hoch und fragte leicht belustigt, leicht besorgt: „Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?“ Liza wollte gerade etwas erwidern, schwieg aber, als Harry ihnen gerade den neuen Reiseproviant brachte. Sie bedankten sich bei Harry, setzten sich auf die Ponies und machten sich auf den Weg. Die Kinder hatten reichlich gegessen und sassen gemütlich auf den Ponies. Sie waren guter Dinge, da bis anhin alles so gut geklappt hatte. Nur Mike schaute sich immer mal wieder nach dem Bären um und versuchte auch herauszufinden, ob Liza den Bären sah oder spürte. Die liess sich aber nichts anmerken und schon bald hatte auch Mike den Bären wieder vergessen. Die Kinder plauderten fröhlich und werweissten, was der weise Mann ihnen wohl für einen Ratschlag geben würde. „Der muss schon mächtig alt sein, wenn er so schlau ist und für alle Fragen eine Antwort hat“, meinte Ike. „Bestimmt hat er einen langen Bart, viele Runzeln im Gesicht und ganz graue Haare“, scherzte Emma. „Wir haben jedenfalls nicht viel Zeit, ihn zu finden“, sagte Mike. „Heute haben wir schon den 10. Dezember und in zwei Wochen müssen wir zurück sein und den König überzeugen können“. „Schneller geht es aber nicht und ausserdem ist hier der Weg zu Ende“, unterbrach ihn Liza unvermittelt und blieb mit Efe stehen. Die Kinder sahen sich verdutzt an. Der Weg endete und vor ihnen war lediglich weisser, mit Schnee bedeckter Waldboden zu sehen. „Das kann nicht sein“, rief Ike. „Harry hat gesagt, der Weg sei nicht zu verfehlen und wir haben nie eine Abzweigung gesehen“. „Wir müssen sie trotzdem verpasst haben“, warf Mike ein. „Wir sollten zurückreiten und schauen, ob wir sie finden“. Liza war inzwischen abgestiegen und lief zwischen den Bäumen hin und her und suchte nach einem Hinweis für einen Weg. Ike der jetzt ganz allein auf Efe sass, fühlte sich etwas unwohl, streichelte ihn am Hals und flüsterte ihm beruhigend zu. „Alles gut Kleiner, wir suchen nur gerade kurz den Weg und gleich geht es weiter“. Bei diesen Worten setzte sich Efe in Bewegung und lief schnurgerade in den Wald. „Äh, he Moment mal, ich habe nicht jetzt gesagt“, rief Ike voller Schreck und wäre fast vom Pony gepurzelt, wenn er sich nicht gerade noch in letzter Sekunde an der Mähne hätte festhalten können. Liza kam schnell herbeigeeilt, liess Efe aber weiterlaufen und lief neben ihm her. Unterdessen hatte sich auch Sadi in Bewegung gesetzt und trottete Efe hinterher. Die Kinder sahen sich fragend an. „Hier wird der Weg zum Pfad“, rief Liza. „Harry hatte es doch erwähnt. Wahrscheinlich hat er aber nicht gewusst, dass man ihn kaum erkennen kann, wenn Schnee liegt. Die Ponies scheinen ihn jedenfalls zu kennen. Sie würden nicht selbständig einfach so in den Wald laufen. Ich werde einfach etwas nebenher gehen und Efe laufen lassen.“ Die anderen Kinder fühlten sich unwohl. Woher sollte man wirklich wissen, ob die Ponies den Weg kannten. Durfte man sich einfach so auf sie verlassen? Die unbeschwerte Stimmung von vorhin war auf einen Schlag verflogen und Unsicherheit und etwas Angst beschlich die Kinder. Da sie aber auch keine bessere Idee hatten und Liza sich ihrer Sache ziemlich sicher zu sein schien, behielten sie ihre Einwände für sich. Nach einer Weile beschlossen sie, einen kurzen Halt für Tee und Brote zu machen. „Ich schau mich mal ein bisschen um,“ erklärte Mike. „Vielleicht kann ich etwas von einem Pfad entdecken.“ Nach einer kurzen Weile kam er zurück. „Ich glaube, wir sind richtig. Dort vorne lichtet sich die Schneedecke etwas und es schaut aus, wie ein schmaler Weg.“ So besserte sich die Laune der Kinder nicht nur durch die kleine Mahlzeit, sondern auch durch die gute Nachricht. Bis auf Liza, die weiterhin neben Efe herlief, stiegen sie wieder auf und die Ponies marschierten unbeeindruckt immer weiter. Bis plötzlich Efe stockstill stand, die Nüstern blähte und den Hals wölbte. „Was ist denn plötzlich mit Efe los“, fragte Ike Liza erstaunt. „Noch bevor Liza antworten konnte, rief Emma von hinten „Was ist? Warum geht ihr nicht weiter?“. „Keine Ahnung“, sagte Liza etwas abwesend. „Efe muss etwas gehört oder gewittert haben“. „Dann solltest du jetzt vielleicht besser wieder aufsteigen“, meinte Ike, der sich jetzt auf Efe noch viel unwohler fühlte. Liza, die angestrengt in den Wald horchte, schien dies für eine gute Idee zu halten und stieg rasch auf. In diesem Moment rief Mike: “Dort vorn, zwei Hunde!“ Er zeigte auf zwei graue Schatten, die genau auf sie zuliefen. „Ich meine“, verbesserte er sich etwas leiser, „zwei Wölfe...“. Die anderen Kinder hatten sie jetzt auch gesehen und die Wölfe standen jetzt nur noch wenige Meter vor ihnen. Jetzt zeigte sich, dass die Ponies wirklich gutmütig waren. Sie legten zwar die Ohren an, begannen unruhig zu tänzeln und wichen langsam zurück, bäumten sich aber nicht auf, sondern warteten auf ein Kommando der Reiter. Das kam aber nicht. Die Kinder waren vom Anblick der struppigen Wölfe, die jetzt zu knurren und die Zähne zu fletschen begannen, völlig gebannt. Ike fasste sich zuerst und flüsterte zu Liza: „Die Tiere im Wald mögen dich doch. Würdest du bitte mit ihnen sprechen?“ „Die werden mir jetzt aber nicht zuhören“ versetzte Liza leise, „die sind zu hungrig.“ Als sich die Wölfe zum Sprung duckten, knackte es laut im Unterholz neben ihnen. Ein lautes Brüllen liess die Kinder einen weiteren gehörigen Schreck in die Glieder fahren. Neben ihnen tauchte ein grosser massiger Bär auf, der geradewegs auf sie zulief. Die Wölfe schauten irritiert zum Bären und dann wieder zu den Kindern. „Nichts wie weg!“, schrie Emma. Das war das Signal, auf das die Ponies wohl schon lange gewartet hatten. Mit einem grossen Satz nach vorn preschten sie los. Diesmal waren es die Wölfe, die erschreckt auseinanderstoben, als die Ponies an ihnen vorbeigaloppierten, während sich die Kinder fest an die Ponies klammerten. Hinter ihnen hörten sie noch das Fauchen der Wölfe und das Brüllen des Bären. Schon bald hörten die Kinder aber nur noch die Hufschläge der Ponies und Mike, der immer wieder nach hinten schaute, konnte schon bald nichts mehr erkennen. Jedenfalls waren ihnen die Wölfe nicht gefolgt. Nach rund zehn Minuten blieben die Ponies erschöpft stehen. Emma stieg ab. „Wir sollten den Ponies fünf Minuten Pause geben. Die sind jetzt recht erschöpft und vom Schwitzen tropfnass. Dann laufen wir zu Fuss weiter. Den Weg sieht man jetzt auch schon wieder. Weit kann es nicht mehr sein.“ „Und wenn uns die Wölfe doch verfolgen?“ fragte Mike. „Dann können wir nur hoffen, dass die Ponies nochmal so schnell laufen können“. „Wollte der Bär uns nun eigentlich auch angreifen, um den Honig zu kriegen oder hat er uns vor den Wölfen retten wollen“? fragte Ike. Liza zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Am Schluss ging alles so schnell, dass ich nicht erkennen konnte, was der Bär wollte. Jedenfalls war es Glück für uns, dass er gerade auftauchte. Dafür sollten wir dankbar sein. Aber vielleicht sollte ich ihn jetzt nicht mehr anfüttern.“ Die Kinder machten sich rasch wieder auf den Weg und die Ponies trotteten neben ihnen her. Sie schienen keine Angst mehr zu haben und so dachten die Kinder, würde ihnen auch keine Gefahr mehr drohen, so dass auch sie sich beruhigten. Es war noch ein rechtes Stück bis zur Hütte. Als sie dort eintrafen, war ihnen die Anstrengung und Aufregung aber noch immer ins Gesicht geschrieben. Erich, der Bruder von Harry, brauchte die verschwitzten Ponies und die erschöpften Kinder nämlich nur kurz zu mustern. „Kommt rasch hinein“, meinte er. Ich mach’ euch was Feines zu essen und ich glaube, ihr habt mir eine Menge zu berichten.“ Erich staunte nicht schlecht, als die Kinder ihm beim Abendessen die Begegnung mit den Wölfen und dem Bären geschildert hatten. „So nah sind die Wölfe dieses Jahr noch nie gekommen“, meinte er. „Vielleicht waren es zwei kranke Tiere, die sich vom Rudel entfernt haben. Jedenfalls habt ihr Glück gehabt, dass der Bär zur rechten Zeit aufgetaucht ist.“ Die Kinder sahen Liza an, die nicht erzählt hatte, dass sie den Bären vorher noch gefüttert hatten und sie beschlossen, es wäre wohl besser, es Erich auch nicht zu erklären. In dieser Nacht schliefen die Kinder so tief, dass sie den Sturm nicht bemerkten, der über die Hütte hinwegpfiff und sogar die Bäume im Wald wie Schilf hin und her wogen liess.
„Ab hier müsst ihr jedenfalls nicht mehr mit wilden Tieren rechnen“, beruhigte Erich die Kinder am nächsten Morgen zum Abschied. „Der Weg bringt euch aus dem Wald an den Fluss. Etwas flussaufwärts führt euch eine Brücke auf die andere Seite. Von dort wieder flussabwärts und dann ist es nicht mehr weit zur nächsten Hütte. Der Sturm heute Nacht hat recht gewütet, hat sich aber jetzt verzogen. Der Weg im Wald wird vielleicht durch geknickte Bäume versperrt sein. Dann solltet ihr von den Ponies absteigen.“ Die Kinder nickten und versprachen, vorsichtig zu sein. Sie freuten sich, bald aus dem Wald heraus zu sein. Aber schon bald sahen sie, dass Erich recht gehabt hatte. Ihr Weg aus dem Wald war an einigen Stellen durch grosse umgestürzte Bäume unpassierbar, als ob sie die Kinder nicht so schnell aus dem Wald gehen lassen wollte. Sie mussten häufig absteigen und die Ponies vorsichtig um die Bäume führen. Die Zeit verrann schnell und sie waren erst kurz nach Mittag am Waldrand. Vor ihnen bereitete sich ein grosser Fluss aus, der an vielen Stellen dick vereist war. Die Kinder machten ihr Picknick am Flussufer und begannen zu rätseln. „Erich meinte, die Brücke sei flussaufwärts“, erinnerte Mike, „aber wenn wir nicht sehen, in welche Richtung der Fluss fliesst, weil er so vereist ist, wissen wir auch nicht wo flussaufwärts- oder flussabwärts ist.“ „Man sieht auch gar kein Gefälle“, ergänzte Liza. „Du hättest eine Karte mitnehmen sollen“, foppte sie Ike, „weder das Seil, der Stein noch das Messer nützen uns hier etwas und deine drei Freunde sind auch keine Hilfe.“ Mike lächelte: „Das würde ich nicht sagen“. Er holte einen grossen Ast und hieb mit diesem auf die Eisfläche am Ufer. Nach drei harten Schlägen brach das Eis mit einem grossen Krachen. Mike beugte sich über das Loch und zeigte triumphierend mit dem Finger nach rechts. „Dort geht’s lang!“ „Wir sollten uns sputen“, meinte Emma. „Wir haben im Wald viel Zeit verloren, müssen die Brücke finden und dann die Hütte“.
Die Ponies schienen auch froh zu sein, den Wald hinter sich gelassen zu haben und trotteten munter den Weg am Fluss entlang. Je länger die Kinder aber ritten, ohne zur Brücke zu gelangen, desto unsicher wurden sie. „Wir sind sicher schon zu weit“, sagte Ike schliesslich. „Erich hatte gesagt, die Brücke sei nur kurz nach dem Waldrand.“ „Er sagte aber auch, wir müssten uns flussaufwärts halten, d.h. wir sind richtig und eine Brücke kann man nicht verpassen“, entgegnete Emma nicht ganz überzeugt. „Lasst uns noch eine Viertelstunde weiterreiten,“ schlug Mike vor. „Wenn die Brücke bis dann nicht aufgetaucht ist, müssen wir entscheiden, ob wir zurückreiten und flussabwärts die Brücke suchen.“ Aber auch nach einer weiteren Viertelstunde war von einer Brücke nichts zu sehen. Die Kinder begannen sich gerade zu besprechen, als ihnen zwei Schreiner-Gesellen entgegenkamen. „Wo wollt ihr denn hin?“ fragten sie die Kinder erstaunt. „Wir suchen die Brücke über den Fluss“, antwortete Liza rasch. „Ist sie noch weit entfernt?“ Die Gesellen schauten die Kinder mitleidig an: „Also die Holzbrücke, die ihr wahrscheinlich meint, ist heute Nacht vom Sturm zerstört worden. Sie war eh schon recht morsch und klapprig. Der starke Wind hat ihr den Rest gegeben. Die Bauern auf der anderen Seite haben das, was übriggeblieben ist, schon abtransportiert und verbrennen das Holz wahrscheinlich jetzt schon in ihren Öfen.“ Die Kinder sahen sich entsetzt an. „Und wie kommen wir jetzt über den Fluss?“ fragte Liza. „Etwa eine gute Tagesreise von hier liegt ein Dorf. Dort könnt ihr den Fluss überqueren. Das schafft ihr heute aber nicht mehr und es gibt keine Unterkünfte bis dort.“ „Dann müssen wir zurück zu Erich“, stellte Ike betroffen fest. „Das geht nicht“, rief Emma verzweifelt. „Wenn wir umkehren, verlieren wir einen ganzen Tag. Morgen müssten wir dann den ganzen Weg zum Dorf und dann auf der anderen Seite wieder alles zurück. Das kostet uns nochmals zwei Tage. So sind wir nie rechtzeitig zurück!“ „Wir fragen Erich, vielleicht hat er noch eine Idee oder er kennt einen anderen Weg“, versuchte Ike seine Schwester zu trösten, der sah, wie aufgeregt sie schien. „Es gibt keinen näheren Weg über den Fluss, als über die Brücke beim Dorf“, wandte der kleinere der Gesellen ein, der nicht gemerkt hatte, dass diese Antwort die Kinder nicht beruhigen würde. Jetzt schaltete sich auch Mike ein: “Es macht keinen Sinn, sich jetzt den Kopf zu zerbrechen. Es wird schon spät und wenn wir nicht draussen übernachten wollen, müssen wir jetzt zurück.“ Emma zuckte mit den Achseln. Sie wusste, dass Mike recht hatte. Es gab nichts, was sie jetzt hätten anderes machen können, als zurückzureiten. „Ich gebe jedenfalls nicht auf“, sagte sie. „Reiten wir zurück. Morgen finden wir einen Weg“. Die Kinder verabschiedeten sich von den Gesellen und machten sich auf den Rückweg. Die Ponies schienen zunächst etwas irritiert und nicht ganz zu begreifen, weshalb sie umkehrten. Offenbar waren sie es sich gewohnt, den Weg zum Dorf zu gehen. Aber bald dachten sie wohl, es ginge nun wieder nach Hause und liefen recht flott flussabwärts. Die Kinder sprachen nicht viel in dieser Zeit. Emma schaute immer wieder sehnsüchtig über den Fluss auf die andere Seite und konnte auch bald den Weg dort erkennen, der so nah schien aber im Moment unerreichbar war. Der Rückweg war weitaus schneller bewältigt, da die Kinder die Hindernisse im Wald schon gut kannten und sich an ihren eigenen Spuren orientieren konnten. Dies war auch gut so, denn die Sonne stand schon sehr tief, als sie bei der Hütte von Erich wieder eintrafen, der sie besorgt vor dem Stall begrüsste: „Ist was passiert?“ „Die Brücke ist zerstört“, begann Liza zu erklären. „Wir müssen unbedingt einen anderen Weg über den Fluss finden, damit wir rechtzeitig beim weisen Mann und wieder zurück beim König sind.“ „Kommt rein,“ sagte Erich, der sah, wie mutlos die Kinder wirkten. „Ich kümmere mich ausnahmsweise um die Ponies“. Vor dem warmen Kaminfeuer wollte den Kindern die rettende Idee nicht kommen. Enttäuscht und traurig sanken sie in unruhigen Schlaf und ahnten nicht, dass es diesmal das Wetter in der Nacht gut mit ihnen meinte und ihnen die Fortsetzung der Reise ermöglichen sollte.
Es war eine wolkenlose, sternenklare Nacht gewesen und die Temperaturen waren weit unter den Gefrierpunkt gesunken. Der Morgen war eisig kalt. Als Mike aus dem Fenster sah, fiel sein Blick auf den gefrorenen Brunnen vor dem Haus. „Wenn wir nicht über die Brücke gehen können, gehen wir ohne Brücke über den Fluss“. Die anderen Kinder sahen ihn fragend an. „Na ja“, fügte Mike hinzu, „gestern war der Fluss schon fast ganz zugefroren. Wenn das Eis dick genug ist, laufen wir einfach drüber.“ Emma sah ihren Bruder erstaunt und erfreut an:“ Das ist eine tolle Idee. So schaffen wir es doch noch rechtzeitig!“ „Hört mal“, wandte Erich beim Frühstück ein, „das ist nicht so eine gute Idee. Das Eis auf dem Fluss ist in der Regel nicht dick genug. Es wird einbrechen, wenn ihr mit den Ponies darüber läuft“. „Wir werden einzeln gehen“, mischte sich jetzt auch Liza ein. Die Ponies werden ungesattelt und ohne Gepäck gehen. Sie haben ein gutes Gespür für Gefahren und werden nicht weitergehen, wenn das Eis zu dünn ist. Der Fluss scheint an vielen Stellen auch nicht sehr tief zu sein, so dass man sich höchstens nasse Füsse holen würde, wenn das Eis tatsächlich brechen würde. „Ich werde euch zum Fluss begleiten“, sagte Erich bestimmt. „Wenn es zu gefährlich ist, werde ich es nicht erlauben können. Dann ist eure Reise hier zu Ende“. Die Kinder sahen sich hoffnungsvoll an. Es gab also doch noch eine Chance. Schnell packten sie ihre Sachen, sattelten die Ponies und machten sich auf den Weg, den sie ja nun schon gut kannten. Erich lief neben ihnen her und versuchte sie sanft darauf vorzubereiten, dass es wahrscheinlich nicht möglich sein würde, den Fluss zu überqueren und dass sie nicht zu enttäuscht sein sollten, wenn sie umkehren müssten. Sie hätten auf jeden Fall schon viel erlebt und viel Mut gezeigt. Aber die Kinder hörten nicht zu und konnten es kaum erwarten, den Fluss zu sehen. Als sie am Ufer standen, schöpften sie erneut Hoffnung: Eine dicke Eisschicht lag auf dem Fluss, auch wenn man teilweise das Wasser darunter noch sehen konnte. Erich stieg zum Ufer hinab und setzte vorsichtig einen Fuss aufs Eis. Als es aber gefährlich knackte, rief er zu den Kindern: „Wir sollten weiter oben schauen – dort wo die Brücke stand. Dort ist der Fluss schmal, allerdings auch etwas tiefer. Hier wird euch das Eis nicht tragen!“. Als sie kurz darauf an der Stelle standen, wo früher die Brücke über den Fluss führte, hüpften die Herzen der Kinder vor Freude: Der Fluss war vollständig zugefroren und man konnte kein fliessendes Wasser unter dem Eis entdecken: Das Eis musste sicherlich dick genug sein, um sie alle – insbesondere die Ponies – tragen zu können. „Ich werde schauen, ob es hält“, sagte Erich und begann vorsichtig über das Eis zu balancieren. Die Kinder schauten wie gebannt zu. „Hoffentlich bricht er nicht ein“, flüsterte Emma. „Wenn er heil rüber kommt, schaffen wir es auch,“ entgegnete Mike ohne den Blick von Erich zu wenden, der nun schon fast am anderen Ufer angelangt war. Kaum hatte er es erreicht, jubelten die Kinder auf der anderen Seite laut. „Kommt“! rief Liza. „Satteln wir die Ponies ab und machen wir uns bereit“. Die Kinder machten sich an die Arbeit, während Erich vorsichtig auf dem Eis zurücklief. „Zuerst die Ponies“, erklärte er. „Ich nehme Sadi am Zügel und laufe nebenher“, meinte Liza. „Er vertraut mir und wird keine Schwierigkeiten machen“. Als sie vorsichtig mit ihm zum Ufer lief, merkte sie, dass sie sich vielleicht geirrt hatte: Sadi schien es überhaupt nicht wohl zu sein. Diesen Weg war er noch nie gegangen und das Eis schien ihm nicht zu behagen. Er blieb stehen und wäre wohl keinen Schritt weitergegangen, wenn Liza ihn nicht mit ihrer sanften aber bestimmten Stimme beruhigt hätte, so dass er vorsichtig seine Hufe aufs Eis setzte. Als er merkte, dass nichts passierte, ging er vorsichtig weiter und Liza nebenher. Die Kinder am Ufer hielten den Atem an. Kurz bevor Liza das andere Ufer erreichte, knirschte es bedrohlich unter ihren Füssen. Sie konnte nichts anderes tun, als ihren Schritt mit dem Pony etwas zu beschleunigen und rasch ans andere Ufer zu hüpfen. Als sie sich umdrehte, winkte sie den anderen Kindern und diese jubelten ihr freudig zu. Nun nahm Emma die Zügel von Efe. Sie legte ihren Rucksack am Ufer ab und lief den Spuren von Liza nach. Als sie etwa in der Mitte war, rief ihr Liza zu: „Mach einen kleinen Schlenker nach rechts. Hier vorne ist das Eis dünner!“ Emma verliess die Spuren von Sadi und Liza, suchte sich einen anderen Weg und gelangte ohne Schwierigkeiten ans andere Ufer. Nun folgten ihr Mike, Ike und Erich, die die Vorräte, Rucksäcke und Sättel zu tragen hatten. Sie mussten mehrmals gehen, bis sie alle ihre Sachen auf der anderen Seite hatten. „Mein Rucksack liegt noch dort am Ufer!“ rief Emma, als die Ponies wieder besattelt und bepackt wurden. Sie lief noch einmal zurück, schwang sich den Rucksack auf den Rücken und eilte zurück. Dabei folgte sie irrtümlich dem Weg, den vor ihr Sadi und Liza genommen hatten. Liza winkte ihr vom Ufer aus zu und rief:“ Nicht dort, Emma. Nimm den anderen Weg!“ Emma hörte das Rufen von Liza, doch bevor sie realisierte, was Liza ihr sagen wollte, gab es einen lauten Knall unter ihren Füssen, das Eis gab nach und Emma sank augenblicklich bis zur Brust ins eiskalte Wasser. Der Rucksack bremste ihren Sturz am Eis hinter hier etwas ab und glücklicherweise war Liza bereits nahe des Ufers und der Fluss an dieser Stelle nicht mehr ganz tief. Sie spürte festen Boden unter ihren Füssen. Das eiskalte Wasser durchdrang alle Kleider im Nu und schnitt wie ein Messer auf Lizas Haut. „Emma!“ schrie Liza angsterfüllt. Erich kam sofort ans Ufer gerannt. Er zögerte nicht lange und sprang auf Emma zu. Das Eis zerbrach unter seinem Gewicht und er landete auch im Wasser. Er war aber schon so nah an Emma, dass es ihm gelang, sie zu packen, sie an sich zu ziehen und auf den Arm zu nehmen. Das Wasser reichte ihm knapp bis zur Hüfte. Er watete mit Emma zum Ufer, wo die anderen Kinder mit weit aufgerissenen Augen warteten. Emma hatte es die Sprache verschlagen und sie hatte ihre Arme um Erich geschlungen. Jetzt aber setzte die Kälte und der Schreck ein und dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen. Erich und die übrigen Kinder versuchten sie zu trösten: „Nichts passiert, Emma,“ murmelte Erich sanft. „Wir haben Glück gehabt – nur kaltes Wasser“. Sie halfen Emma aus den nassen Kleidern, konnten aber nur einen Teil mit trockenen ersetzen. Insbesondere hatten sie kein zweites Paar Schuhe dabei, so dass alle Kinder Emma ihre Ersatzsocken überzogen. Auch für die dicke Jacke war kein passender Ersatz vorhanden. „Ihr geht weiter“, entschied Erich. „Umkehren könnt ihr nicht mehr. Das würde zu lange dauern und die nächste Hütte ist in einer guten Stunde erreichbar. Ihr werdet abwechselnd die Jacken mit Emma tauschen. Schaut, dass sie nicht noch mehr abkühlt. John, euer nächster Gastgeber, wird sich gut um euch kümmern. Ich kann euch nicht begleiten und muss zurück zu meiner Hütte.“ Auch er begann jetzt zu schlottern und seine Lippen begannen sich blau zu färben. Mike nickte: “Dann lass uns losgehen. Umso schneller sind wir wieder im Warmen.“ Emma hatte sich jetzt etwas erholt, zitterte aber immer noch vor Kälte: „Danke, dass du mich rausgeholt hast“. Erich lächelte: „War mir ein Vergnügen und jetzt los mit Euch!“ Die Kinder setzten sich auf die Ponies und Erich suchte sich einen sicheren Weg über das Eis auf die andere Seite des Flusses. Schon bald konnten sie sich nicht mehr sehen und die Kinder konzentrierten sich auf den Weg und auf Emma und versuchten, sie etwas aufzuheitern, aber die Kälte des Flusses war tief in sie gefahren und schien sie nicht mehr loszulassen. Als sie bei der Hütte ankamen, war Emma klamm. Sie mussten John nur wenig erklären. Er begriff sofort. Er trug Emma ins Haus und bereitete ihr ein warmes Bad zu. Die anderen Kinder versorgten die Ponies und schon bald bekamen sie eine heisse Suppe vorgesetzt. Emma war wieder aufgetaut und hatte eine gute Farbe angenommen, war aber sehr erschöpft. Bald schliefen die Kinder in ihren weichen Betten tief und fest.
13. Dezember - Schwarze Beeren
Emma hörte ein gefährliches Knirschen. Eis knackte unter ihrem Gewicht. Emma blickte erstaunt zu Boden und sah, wie sich kleine und grosse Risse im Eis rund um ihre Füsse bildeten. Sie war starr vor Schreck und bevor sie sich bewegen konnte, zersplitterte das Eis wie eine zerberstende Fensterscheide und sie versank wie in Zeitlupe vollständig im Wasser. Sie hielt die Luft an und spürte das Eiswasser auf ihrer Stirn. Ein Strudel drehte sie wild im Kreis, so dass ihr schwindelig wurde. Eine Welle schleuderte sie wieder an die Oberfläche. Sie japste nach Luft, kletterte aus dem Wasser auf das Eis. Dieses knackte, zerbrach und sie versank erneut im Wasser. Sie versuchte, nicht zu atmen, um nicht zu ertrinken. Dabei sah sie aus den Augenwinkeln John am Ufer entlangrennen und ihr etwas zurufen, das sie zunächst nicht verstand. Dann hörte sie die Worte deutlicher und gleichzeitig spürte sie wieder das eisige Wasser auf ihrer Stirn: „Atmen, Emma, ganz ruhig atmen“. „Aber ich kann doch unter Wasser gar nicht atmen“, dachte Emma verwirrt und schlug die Augen auf.
John sass auf ihrem Bett und wischte ihr mit einem kalten Lappen den Fieberschweiss von der Stirn. Noch in der Nacht war das Fieber gekommen. Als ob der Körper von Emma das Eiswasser des Flusses nun zum Kochen bringen wollte, liess er die Temperatur von Emma innert weniger Stunden emporschnellen. „Dich hat es ganz schön erwischt. Aber das kriegen wir schon wieder hin,“ flüsterte ihr John zu. Emmas Kleider waren schon wieder pitschnass. Diesmal von ihrem Schweiss. John hatte schon neue bereitgelegt und Essigwickel vorbereitet, die er Emma jetzt um die Waden legte. „Versuch zu schlafen. Ich bleibe hier“. Emma war zu müde, um zu antworten und sank erneut in einen unruhigen Schlaf. Das Fieber war auch am Morgen nicht zurückgegangen und Emma konnte sich kaum rühren. Alles tat ihr weh, ihr Atem war schwach und sie konnte und mochte nicht sprechen. Sie trank etwas Tee und wollte einfach nur schlafen. Die anderen Kinder fragten John, ob sie etwas für Emma tun könnten. „Ich habe hier keine Medizin für Emma. Die Einzige, die etwas von Kindern und ihren Krankheiten versteht, ist die alte Anna im Dorf. Ich werde sie holen. Mit meinem Pferd bin ich nach dem Mittag zurück. Bleibt bei Emma. Erneuert die Wickel und gebt ihr hin und wieder was zu trinken und wechselt die Essigwickel. Warme Suppe steht auf dem Herd“. Die Kinder nickten sorgenvoll und blickten John bedrückt nach, als er im Galopp davonstob. Die Zeit bis zur Johns Rückkehr schien ihnen eine Ewigkeit. Sie sassen an Emmas Bett und versuchten, von Zeit zu Zeit mit ihr zu sprechen. Aber Emma war jetzt wie in Trance und schien unendlich weit weg zu sein. Die wenigen Augenblicke, in denen sie die Augen öffnete, blickte sie ins Leere, um kurz danach unter einem unverständlichen Murmeln wieder einzuschlafen. Die Kinder waren sehr erleichtert, als John endlich mit Anna zurückkehrte.
Anna war eine grossgewachsene Frau, mit faltigem, grauem Gesicht und dunklem, strubbligen Haar. Ihre blauen Augen leuchteten mitternachtsblau, schauten jetzt aber sorgenvoll auf Emma, die jetzt schon seit einiger Zeit ihre Augen gar nicht mehr geöffnet hatte, sich aber hin und her wälzte und immer wirreres Zeug von sich gab. „Mit dem Eis des Flusses ist nicht zu spassen“, sagte sie ernst. „Kommt Kinder, ihr müsst mir suchen helfen“. Sie gingen nach draussen, wo ihnen Anna einen kleinen Strauch zeigte, an dem noch vier kleine schwarze verdorrte Beeren hingen. „Von denen brauche ich etwa fünfzig Stück“. „Aber die sind giftig“, entgegnete Liza erstaunt. „Nicht einmal Vögel essen von denen, ausser…“. „Du hast Recht, schlaues Mädchen“, unterbrach sie Anna. „Ihr sollt sie deshalb ja auch nicht essen, sondern für mich sammeln. Macht euch keine Sorgen, sondern tut jetzt, was ich euch sage. Ich habe noch andere Zutaten aus meinen Vorräten dabei, die werden das Gift der Beeren verträglich machen.“ Damit wandte sie sich ab und liess sich von John in die Küche führen. „Kommt“, sagte Liza. „Dort hinten am Weg habe ich schon gestern weitere solche Sträucher gesehen“. Die Kinder mussten aber fast eine Stunde suchen, um die fünfzig verschrumpelten Beeren einzusammeln. Schliesslich hatten sie es geschafft und kehrten schnell zur Hütte zurück. Dort hatte Anna schon einen Topf aufgesetzt, in dem es heftig brodelte und im Haus einen unangenehmen scharfen Geruch verbreitete. „Ich hoffe für Emma, dass es nur eine Salbe oder einen Verband gibt und nichts zum Trinken“, raunte Ike zu seinem Bruder, der sich gerade die Nase zuhielt. Anna, die die Bemerkung sehr wohl gehört hatte, liess sich nichts anmerken, antwortete nicht, sondern nahm die Beeren, wickelte sie in ein Tuch und drückte sie fest zusammen und wartete. Die Kinder staunten nicht schlecht, dass aus den scheinbar vertrockneten Beeren nach einer kurzen Weile unerwartet ein dunkelroter Saft durch das Tuch drang und in den Topf tropfte. Anna nahm den Topf vom Feuer und kippte den Inhalt in eine kleine Tasse. Sie ging damit zu Emma und setzte sich neben ihr aufs Bett. „Wir müssen warten, bis Emma etwas zu sich kommt“. „Können wir ihr die Medizin jetzt nicht einfach einflösen oder einlöffeln?“ fragte Mike ungeduldig, der besorgt seine kranke Schwester betrachtete. „Nein“, erwiderte Anna bestimmt. „Nie Schlafenden oder Bewusstlosen etwas zu trinken geben. Das ist gefährlich. Sie können nicht schlucken und die Flüssigkeit könnte in die Lunge geraten“. Als ob Emma alles gehört hatte, öffnete sie kurz die Augen. Anna zog sie etwas auf, hielt ihr den Kopf mit der einen Hand und führte mit der anderen die Tasse zu Emmas Mund: „Nur einen kleinen Schluck Emma, das wird dir helfen“. Emma sah sie mit glasigen Augen an, öffnete den Mund und schluckte ein wenig, drehte dann aber ihren Kopf sofort zur Seite. Es schien nicht zu schmecken. Anna hielt Emmas Kopf aber fest und Emma war zu schwach, um sich wirklich zu wehren oder die Medizin auszuspucken und so gab ihr Anna drei weitere Schlückchen aus der Tasse. Als Anna sie losliess, sank Emma wieder in ihr Kissen und schloss die Augen. „Jetzt müssen wir warten“, und sie wandte sich an die Kinder. „Emma ist ein starkes Mädchen. Sie wird bald wieder gesund sein“. Die Kinder machten es sich am Bett von Emma bequem und warteten. Aber nichts geschah und weil es schon spät geworden war und die Kinder durch die Aufregung müde geworden waren, schliefen sie bald neben Emma zwischen ihren Decken und Kissen ein.
14. Dezember - Die Reise geht weiter
Als Mike am nächsten Morgen die Augen aufschlug, sass Emma aufrecht in ihrem Bett und machte ein betrübtes Gesicht: “Mein Stein ist zerbrochen“. Sie blickte auf die zwei Hälften ihres Türkis‘ in ihrer Hand. „Du bist wieder gesund!“ rief Mike begeistert, stürzte sich auf seine Schwester und umarmte sie. „War ich krank?“ fragte Emma erstaunt zurück. „Ich war einfach furchtbar müde und habe aber prima geschlafen nach dem Eisbad gestern“. Mike stutzte. „Also eigentlich war das vorgestern. Gestern haben wir mit Anna deine Medizin gebraut und offensichtlich hat sie prima geholfen. Sag bloss, du hast nichts mitbekommen. Echt krass. Wir hatten ziemlich Angst, dass du überhaupt nicht mehr aufwachst.“ Jetzt schaute Emma ihren Bruder mit grossen Augen an: „Du meinst, ich habe zwei Tage verschlafen? Oh nein, das bedeutet, wir haben schon wieder einen Reisetag verloren.“ „Keine Angst“, sagte eine Stimme an der Türe. „Ihr habt genug Zeit für eure Reise“. Die Stimme gehörte John. Neben ihm stand Anna, die sich ans Bett zu Mike und Emma setzte. Sie sah den zerbrochenen Stein in Annas Hand. „Ich bin froh, dass du wieder gesund bist Emma“. Deine eigene Kraft, die Medizin und der Stein haben dir geholfen. Der Stein hat dabei alle seine Kraft für dich abgegeben, deshalb ist er zerbrochen. Gib ihn Mutter Erde wieder zurück. Du brauchst ihn nicht mehr.“ Emma blickte in die freundlichen Augen von Anna und lächelte. „Danke. Ich werde den Stein neben dem Stall vergraben. Aber jetzt sollten wir uns reisefertig machen. Ich denke mal, meine Sachen sind inzwischen trocken? Allerdings habe ich einen mächtigen Hunger!“ Emma machte einen Satz aus dem Bett, musste sich aber gleich wieder hinsetzen und stöhnte. „Ich glaube, meine Beine müssen sich erst wieder ans Laufen gewöhnen“. „Zum Glück haben wir die Ponies“, murmelte Ike verschlafen und war dann aber mit einem Schlag hellwach: „He, du bist wieder gesund!“ Ike strahlte seine Schwester an. „Dieser Beerentrunk scheint die Wucht zu sein“. „Wer ist eine Wucht?“, fragte die letzte Stimme und Liza tauchte verstrubelt unter einem grossen Berg Kissen auf. Alle lachten und schon bald sassen sie am Frühstückstisch und griffen mit grossem Appetit zu. „Wenn ihr wollt, könnt ihr noch einen Tag hierbleiben“, meinte John. „Emma kann sich noch etwas erholen und zu Kräften kommen. Der Weg zur nächsten Hütte ist recht weit und geht bereits hoch in die Berge. Vermutlich müsst ihr den letzten Teil zu Fuss gehen.“ Emma schüttelte mit vollem Mund den Kopf. „Kommt nicht in Frage“, erwiderte sie, als sie geschluckt hatte. „Wir haben wegen mir schon zu viel Zeit verloren. Ich fühle mich wie neugeboren.“ Die anderen Kinder sahen Emma fragend an. Auch sie wollten weiter gehen, hatten aber ein schlechtes Gewissen, Emma zu drängen. „Schaut mich nicht so an“ ruft Emma etwas wütend. „Ich bin nur in etwas kaltes Wasser gefallen und konnte jetzt zwei Tage schlafen. Ich bin echt wieder gesund!“ „Dann packen wir“, entschied Mike, der wusste, dass seine Schwester einmal mehr nicht umzustimmen war.
Sie beeilten sich mit dem Frühstück und schon bald waren die Ponies gezäumt, gesattelt und bepackt. Emma war noch kurz verschwunden. Sie hatte für die beiden Hälften ihres Steines ein kleines Loch gegraben, die Hälften hineingelegt, sich von ihnen verabschiedet und das Loch wieder zugeschüttet. Wenn sie wieder zuhause war, würde sie sich wieder einen neuen Stein wünschen. Die Kinder winkten den beiden Erwachsenen zum Abschied noch kurz zu und blickten dann vorwärts auf den hohen, weit entfernten Berg, der ihr nächstes Ziel sein sollte. Sie kamen nur langsam voran, denn schon bald stieg der Weg stetig an und die Ponies schienen nicht besonders begeistert zu sein, bergan zu laufen. Die Kinder waren nicht sehr früh gestartet, so dass sie nur eine kurze Mittagsrast hielten, um etwas Kleines zu essen und den Ponies die nötige Pause zu geben. Die schon ohnehin karge Vegetation war jetzt schon fast ganz einem riesigen Geröllfeld gewichen, das wie eine grosse Wüste vor ihnen lag. Es war schon Nachmittag und nun stand noch der Anstieg zur Hütte bevor, die irgendwo dort oben liegen musste. „Die Hütte liegt am Ende des grossen Geröllfeldes. Es führt kein wirklicher Weg hinauf. Wenn ihr das Geröllfeld nicht verlasst, könnt ihr sie am Ende nicht verfehlen, egal von welcher Seite ihr genau kommt“, hörten sie im Geiste die Stimme von John sagen, der ihnen am Morgen nochmals die Route erklärt hatte. Als die Ponies etwas widerwillig die ersten Schritte auf dem Geröll machten, begannen die Steine unter ihren Hufen sofort wegzugleiten und die Ponies gerieten ins Schwanken und blieben stehen. Mike stieg vom Pony. „Es ist besser, wenn wir die Ponies führen. Die Mädchen können ja vorerst noch sitzen bleiben.“ Liza wollte gerade protestieren, als ihr Blick auf Emma fiel, die doch schon wieder recht müde und etwas bleich schien. „Bist du o.k?“ flüsterte sie ihr zu. „Geht schon. Wir sind ja bald da“, gab Emma zur Antwort. Die Jungs nahmen die Ponies an die Zügel und gingen vorsichtig weiter. Auch für sie war der Weg unbequem und rutschig. Sie mussten sich stark konzentrieren, keinen falschen Tritt zu machen, so dass sie nur langsam vorankamen. Bald tauchte die Sonne hinter dem Berg unter, das Licht wurde diesig und das Geröllfeld schien kein Ende zu nehmen. Angestrengt blickten die Kinder den Hang empor, konnten jedoch ihr Ziel noch nicht entdecken. Auch die Ponies schienen genug zu haben. Immer wieder blieben sie stehen und mussten von Liza ermuntert werden, weiterzugehen. „Lasst uns die beiden Laternen anzünden, die uns John mitgegeben hat“, schlug Ike vor, als es bereits so dunkel geworden war, dass man kaum mehr 5 Meter weit blicken konnte. Mike nickte. Gerade als er die erste Kerze entzünden wollte, rief Liza: „Dort vorne sehe ich ein Licht. Das muss die Hütte sein!“ Tatsächlich sah man in der Ferne ein kleines Licht schimmern. „Dann kann es nicht mehr weit sein“, meinte Emma, die jetzt immer mehr zu frösteln begann. Mit den beiden Laternen, je in der einen Hand und den Zügeln in der anderen, setzten die Jungs den Anstieg fort. Mit ihrem kleinen Laternenlicht kamen sie in der Dunkelheit nochmals langsamer voran. Aber mit dem kleinen Licht in der Ferne, welches ihnen immer heller zu leuchten begann, schöpften sie frischen Mut. In diesem Moment rutschte Mike aus und fiel zu Boden. Es klirrte, die Laterne erlosch und man hörte Mike im Dunkeln fluchen: „Mist!“ „Ist dir was passiert?“ fragte Emma besorgt und stieg vom Pony. „Nicht schlimm“. Mike versuchte möglichst ruhig zu klingen. „Aber ich glaube, ich habe mir den Fuss verstaucht.“ Mike rappelte sich auf, knickte aber gleich wieder ein: „Autsch! Ich kann nicht abstehen“. „Okay, dann steigst du aufs Pony und ich laufe“, sagte Emma schnell. „Du bleibst sitzen“, unterbrach sie Liza. „Schone dich noch ein wenig“, fügte sie hinzu und stieg ab. Sie stützte Mike und half ihm aufs Pony. „Du blutest!“ rief Liza und blickte auf ihre Hand, die mit Blut verschmiert war. „Nicht so schlimm“, erwiderte Mike. Ich habe mich wahrscheinlich an den Scherben der Laterne geschnitten. Lass uns einfach weiter gehen“. Mit nur einer Laterne gingen sie nun doppelt so vorsichtig und doppelt so langsam. Aber das Licht in der Ferne wurde nun immer heller und kam näher und näher und tatsächlich hatten sie schliesslich die Hütte erreicht. Eine junge Frau kam ihnen mit einer grossen Laterne entgegen. „Hallo! Schön, dass ihr es geschafft habt! Ich bin Tessa. Ich habe euch eigentlich schon vor zwei Tagen erwartet.“ Als sie sah, dass Liza ein Pony führte und Mike darauf sass, blickte sie ihn forschend an und konnte gleich sehen, dass etwas nicht in Ordnung war. „Mike hat sich den Fuss verstaucht“, sagte Liza schnell. „Das schau ich mir gleich mal an“. Sie half Mike vom Pony. „Bringt ihr die Ponys schon mal in den Stall und kommt dann rein. Ich kümmere mich um Mike.“ Als die Kinder kurze Zeit später in die Hütte traten, sass Mike schon auf einem Bett mit einem kleinen Verband um die Hand. Sein rechter Fuss steckte in einem Holzkübel mit Schnee. „Zum Glück nicht gebrochen“, meinte Mike und versuchte zu lächeln. „Aber ich glaube, meine Reise endet hier vorläufig“.
Am nächsten Morgen war klar, dass Mike unmöglich weitergehen konnte. Der letzte Aufstieg war auch für die Ponies nicht zu schaffen und der Knöchel von Mikes Fuss war angeschwollen und leicht violett eingefärbt. Trotzdem war die Stimmung beim Frühstück gar nicht schlecht. Die Kinder waren aufgeregt, scherzten und fragten sich, ob sie den weisen Mann nun bald treffen würden. Nur Emma war stiller als sonst: „Ich bleibe bei Mike“, sagte sie plötzlich mit fester Stimme. „Liza und Ike werden den weisen Mann finden und hoffentlich werden wir dann alle zusammen zurückreiten können“. Alle schauten Emma entgeistert und fassungslos an. „Kommt nicht in Frage, Emma!“ rief Mike als erster. „Es war doch auch deine Idee, den weisen Mann zu finden. Ich komme hier schon allein zurecht“. „Du musst nicht hierbleiben“, wandte auch Tessa ein. „Ich kümmere mich schon um deinen Bruder“. „Darum geht es doch gar nicht“, sagte Emma bestimmt. „Ich lasse Mike einfach nicht allein zurück. Ihr seid auch nicht ohne mich weitergezogen, als ich krank war. Wir sind eine Gruppe von vier. Also teilen wir uns jetzt auf. Ich bleibe mit Mike hier und ihr zwei geht weiter. Mama und Papa würden auch so entscheiden und sie haben gesagt, wir sollen aufeinander achtgeben. Das haben wir bis jetzt gut hingekriegt und so soll es auch bleiben.“ Liza blickte Emma nachdenklich an. Im ersten Augenblick hatte sie gedacht, Emma habe vielleicht Angst, den Aufstieg zu wagen und suche bloss eine Ausrede, um nicht weiterzulaufen. Als sie aber sah, dass sie bei den letzten Worten eine kleine Träne zerdrückte, schwieg sie. Mike holten noch einmal tief Luft und wollte etwas entgegnen, liess es dann aber auch bleiben. Im Grunde war er recht stolz auf seine Schwester. Stattdessen sagte er bloss: „Danke, Emma.“ Emma lächelte kurz. „Nun gut“, meinte Tessa. „Das ist auch okay. Dann hört zu: Ich habe eine kleine Karte gezeichnet, die euch zur Hütte des weisen Mannes führen wird. Nach dem Frühstück gebe ich euch etwas Proviant, heissen Tee und einen extra warmen Pullover zum Wechseln mit. Ihr werdet beim Anstieg ins Schwitzen kommen. Ihr müsst immer auf dem Weg bleiben und dürft euch nicht trennen. Das Wetter ist momentan recht freundlich, aber es kann sich hier in den Bergen rasch ändern. Ihr solltet die Hütte vor Sonnenuntergang erreichen. Der weise Mann erwartet euch nicht. Ich habe ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Es könnte sein, dass er nicht da ist und auch nicht kommt. Ihr dürft seine Hütte betreten, auch wenn er nicht zu Hause ist. Sollte er bis morgen nicht zurückkommen, kehrt ihr hierher zurück. Alles klar?“ Liza und Ike nickten und machten sich reisefertig.
Mit je einem kleinen Rucksack mit Proviant und frischer Wäsche machten sie sich schliesslich auf den Weg. Emma und Mike sassen auf einer Bank vor der Hütte und blickten ihnen noch lange nach, bis sie als kleine Punkte hinter einem Felsvorsprung verschwanden. Ike und Liza sprachen nur noch wenig miteinander. Der Weg war nur noch schmal und unscheinbar und führte jetzt steil nach oben. Schon bald begannen sie zu schwitzen, zogen ihre Jacken aus und nahmen immer wieder einen kräftigen Schluck aus ihren Thermosflaschen. Erst am frühen Nachmittag rasteten sie und stärkten sich mit ihrem Proviant. Bei dieser Gelegenheit schauten sie nochmals auf die Karte, die ihnen Tessa gezeichnet hatte. Der Weg würde sich bald gabeln. Dann würden sie links auf der Bergkante entlanggehen, bis sie am Ende des Weges auf die Hütte des weisen Mannes treffen würden. „Was kommt denn da?“ fragte Ike plötzlich und zeigte auf den Grat des Berges, der nicht mehr weit entfernt zu sein schien. Als Liza emporblickte, sah sie, was Ike meinte. Über den Grat kroch eine weiss-graue Nebelschicht, die ihnen rasch entgegenkam. „Nebel oder Wolken“, erwiderte Liza erschrocken. „Eigentlich nicht so schlimm“, versuchte sie sich gleich zu beruhigen. „Solange es nicht zu schneien oder zu regnen beginnt, kann nichts passieren.“ Die Nebelschwaden hatten sie schon fast erreicht, als sie merkten, wie die Temperatur deutlich absank und sie zum Frösteln brachte. Schnell zogen sie ihre Jacken wieder an, als der Nebel sie auch schon vollständig eingehüllt hatte. Die Felsen umher verschwanden in einer dicken grauen Suppe. „Auch das noch“, seufzte Ike. „Man sieht ja kaum die Hand vor Augen. Wie sollen wir da die Hütte finden“. „Wir halten uns einfach an die Karte und bleiben auf dem Weg“, entgegnete Liza. Ihre Stimme tönte nicht ganz so überzeugt, wie sonst. „Es wäre jedenfalls genauso gefährlich, jetzt wieder abzusteigen und da wir nicht wissen, wie lange diese Brühe anhält, macht es auch keinen Sinn, hier zu warten“. Ike und Liza setzten ihren Aufstieg langsam und vorsichtig fort. Der Nebel war jetzt so dicht, dass sie eng aneinander blieben, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig neigte sich der Tag zur Neige und das Licht um sie herum, wurde immer diffuser. „Liza, bist du sicher, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind?“ fragt Ike plötzlich. Der Boden unter ihnen bestand wieder aus vielen einzelnen kleinen und grösseren Steinen, die immer wieder unter ihren Füssen wegrutschten und hinter ihnen zu Tal kullerten. Da man kaum einen Meter weit sehen konnte, war auch nicht auszumachen, ob sich Liza und Ike jetzt noch auf dem kleinen Pfad oder schon abseits befanden. „Ich glaube, wir haben uns verirrt“, antwortete Liza etwas mutlos. „Es macht keinen Sinn weiterzugehen. Wir müssen warten, bis wir wieder etwas sehen“. Die Kinder setzten sich auf den Boden. „Glaubst du, wir finden den Rückweg wieder“, fragte Ike und rückte etwas näher zu Liza. „Bestimmt“, sagte Liza. „Ich habe auch schon das Gefühl, der Nebel sei nicht mehr ganz so dicht und ...“ Liza hielt inne. „Hast du das gehört?“ fragte sie. Ike spitzte seine Ohren. „Ich höre nichts“, erwiderte Ike, als er in diesem Moment ein schwaches „Haallooh“ vernahm. „Haallooh, hier sind wir!“ rief Liza so laut sie konnte und stürzte vor lauter Aufregung beim Aufstehen fast über Ike. Die beiden Kinder riefen jetzt aus lauter Kehle und winkten mit den Armen, obwohl sie nichts sehen konnten. Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein grosser, schlanker, junger Mann mit einem langen dunklen Mantel vor ihnen. Er trug einen Rucksack und hatte einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen umgehängt. Obwohl Liza und Ike sich auf ihre Rettung gefreut hatten, erschraken sie beim Auftauchen des Mannes und verstummten auf einen Schlag. „Was macht ihr denn hier“? fragte er streng. Seine Stimme klang nicht unfreundlich, aber Liza und Ike war der Mann unheimlich. „Wir haben uns verirrt“, stotterte Ike verlegen. „Das sehe ich“, erwiderte der Mann kühl. „Aber deswegen seid ihr wahrscheinlich nicht hier heraufgeklettert, also?“. „Wir sind auf dem Weg zur Hütte des weisen Mannes“, getraute sich jetzt Liza zu erklären. „Und was wollt ihr dort?“ fragte der Mann forschend weiter. „Wir ...“, begann Ike. „Das erzählen wir dem weisen Mann schon selbst, wenn wir dort sind“, unterbrach ihn Liza und blickte Ike verschwörerisch an. „So, so“, meinte der Mann nachdenklich. Er schien zu überlegen, was er tun sollte: „Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn ihr erstmal mit mir kommt“. Er legte den Bogen zur Seite und holte aus seinem Rucksack ein dickes Seil. Die Kinder erschraken und zuckten zusammen. „Ich binde euch und mir das Seil um den Bauch. So stürzt ihr nicht ab und geht im Nebel nicht verloren. Ihr seid in unwegsames Gelände geraten und habt mir mit euren losgetretenen Steinen ohnehin schon meine ganze Jagdbeute verscheucht. Immerhin hattet ihr Glück und ich habe euch so gefunden.“ Liza und Ike schauten sich an und zögerten. Sie waren sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, mit dem unbekannten Mann mitzugehen. „Okay“, sagte der Mann etwas spöttisch, der das Zögern der Kinder bemerkt hatte. „Ihr könnt auch den Weg alleine suchen. Im Nebel läuft man allerdings gerne im Kreis und ein paar hundert Meter von hier, gibt es eine steile Klippe, da sind schon ein paar Leute und Tiere im Nebel zu Tode gestürzt. Oder ihr bleibt einfach hier, bis der Nebel weg ist. Das kann aber einige Tage dauern, wenn ihr Pech habt. Ihr seid, wenn ich es richtig sehe, nicht für eine Übernachtung im Freien in den Bergen ausgerüstet. Es wird hier so richtig kalt werden“. Er hielt den Kindern das Seil hin. Liza und Ike sahen ein, dass sie keine Wahl hatten und nickten. Der Mann band zuerst den Kindern und dann sich selbst das Seil um den Bauch und verknotete es fest. Er ging voran und Liza und Ike trotteten ihm am Seil hinterher. „Wir müssen vorsichtig sein“, tuschelte Liza vorsichtig und leise zu Ike. „Tessa hat uns nichts von einem Jäger hier in den Bergen erzählt“. „Sind wir jetzt gerade vorsichtig?“ fragte Ike leise und etwas mutlos zurück. Liza wusste darauf keine Antwort. Langsam umschloss sie nun auch die aufkommende Dämmerung und die Kinder fragten sich, wie lange es noch dauern könnten, bis sie das Zuhause des Jägers erreicht haben würden. Allerdings trauten sie nicht, danach zu fragen. Plötzlich tauchte aus dem dicken Nebel eine kleine Hütte auf. Als sie die Türe erreicht hatten, löste der junge Mann das Seil. „Kommt rein“, befahl er den Kindern. Liza und Ike traten zögernd ein. Der Mann schloss die Türe hinter ihnen zu. In der Hütte war es angenehm warm. Im Kamin leuchtete noch die Glut eines ausgehenden Feuers. „Nun setzt euch“. Der Mann deutete auf einen kleinen Tisch in der Mitte der Hütte. „Ich mach euch was Kleines zu essen. Er holte aus einem schmalen Schrank neben dem Herd einen Laib Brot und etwas Wurst. Er stellte alles mit drei Tellern auf den Tisch und setzte sich ebenfalls. Er schaute sie fragend an: “Keinen Hunger“? Ikes Gedanken schwirrten im Kreis. Irgendetwas war seltsam. Es war ihm, als ob ihm eine Stimme in seinem Kopf etwas zuflüsterte, er sie aber nicht verstand: „Tessa hat uns nichts von einem Jäger hier in den Bergen erzählt“, begann er mit Lizas Worten. Er versuchte in seinem Kopf Ordnung herzustellen. „Auch nichts von einer anderen Hütte. Der weise Mann soll hier in den Bergen ganz alleine wohnen. Aber Sie scheinen hier zu Hause zu sein.“ Der junge Mann schaute Ike aufmerksam an. „Und nun?“ fragte er. „Wenn nur der weise Mann hier in den Bergen lebt und eine Hütte hat“, fuhr jetzt Liza fort, „und Sie hier wohnen und das Ihre Hütte ist, dann ...“. „Aber Sie können nicht der weise Mann sein“, unterbrach jetzt Ike hastig. „Der weise Mann ist ein alter Mann“. Liza und Ike schauten sich an und dachten das Gleiche. Sie versuchten sich zu erinnern, wer ihnen erzählt hatte, dass es sich beim weisen Mann um einen alten Mann handeln würde. Doch soweit sie sich zurückerinnern konnten, hatte ihnen nie jemand etwas über das Alter des weisen Mannes erzählt. Vielmehr waren sie einfach davon ausgegangen, dass es sich beim weisen Mann um einen alten Mann handeln müsse. „Ich heisse Richard“, unterbrach der junge Mann das Schweigen. „Die Menschen im Tal nennen mich auch manchmal ‚den weisen Mann‘ und morgen könnt ihr mir erzählen, was ihr von mir wollt. Jetzt ist es schon spät und Zeit für euch, euch auszuruhen“. Eigentlich hatten Liza und Ike Richard gerne jetzt noch den Zweck ihrer Reise erzählen wollen. Aber Richard schickte die beiden müden Kinder, nachdem sie doch noch ordentlich gegessen hatten, zu Bett: „Morgen ist auch noch ein Tag“, hatte er gesagt und die Kinder waren etwas verunsichert zu Bett gegangen, denn diesen Satz hatten sie von ihren Eltern schon ein paar Mal gehört. Er schien ihnen nicht besonders weise zu sein. Aber sie waren tatsächlich recht erschöpft gewesen und schliefen bald ein, glücklich, das Ziel ihrer Reise erreicht zu haben.
Der nächste Morgen war ebenso neblig wie der vorherige Tag. Die Kinder waren froh, hatten sie nicht draussen übernachten müssen. „Also?“ begann Richard beim Frühstück. „Was führt euch zwei zu mir?“ „Also eigentlich sind wir zu viert“, begann Ike. „Aber mein Bruder Mike hat sich den Fuss verstaucht und wartet jetzt in der Hütte von Tessa zusammen mit meiner Schwester Emma auf unsere Rückkehr“. „Und wir brauchen deinen Rat“, fuhr Liza fort. „Es geht um den König“. „Den König?“, fragte Richard erstaunt. „Was ist mit dem König und wie kommt ihr darauf, dass ich euch dabei helfen könnte?“ „Du bist unsere letzte Hoffnung“, sagte Liza und begann ihm von der Absicht des Königs, alle Geschenke an Heiligabend zu verbrennen, zu erzählen. Sie berichtete ihm von der Audienz und der Antwort des Königs auf ihre Frage, weshalb er die Geschenke verbrennen wollte, vom Versuch, die Geschenke auszutauschen und von ihrer Reise und den ganzen Abenteuern bis zum gestrigen Tag. Richard hörte aufmerksam zu. Am Ende ihrer Erzählung sahen die Kinder ihn erwartungsvoll an. „Das ist ja eine spannende Geschichte. Ich werde euch erstmal zurück zu Tessa bringen. Ich möchte auch Mike und Emma kennenlernen. Schliesslich habt ihr alle eine weite und nicht ganz ungefährliche Reise unternommen, um mich zu finden. In der Zwischenzeit kann ich mir auch noch überlegen, was ich euch raten möchte“. Liza und Ike freuten sich, dass Richard mit ihnen mitgehen würde. Sie hatten schon befürchtet, sie müssten den Abstieg im Nebel allein bewältigen. Ausserdem würden dann Emma und Mike direkt von Richard erfahren, was sie tun müssten, um den König umzustimmen. Sie waren sich sicher, dass er eine Lösung kannte.
Alle drei machten sich rasch fertig und der Abstieg war auf dem richtigen Weg mit Richard an der Spitze schneller geschafft, als sie sich vorgestellt hatten. Schon bald hatten sie die Hütte von Tessa erreicht. Mike und Emma hatten am Fenster nach ihnen Ausschau gehalten, aber der Nebel war so dick, dass sie die drei Gestalten erst erkennen konnten, als sie die Hütte schon erreicht hatten. Als sie eintraten, lief ihnen Emma rasch entgegen und Mike humpelte – wenn auch nicht mehr so stark – hinterher. „Da seid ihr ja schon wieder!“ rief Emma freudig und umarmte ihren Bruder. „Habt ihr den weisen Mann gefunden und was hat er gesagt?“ fragte sie stürmisch. „Wir haben ihn sogar mitgebracht“, unterbrach sie Liza und schmunzelte. Mike und Emma musterten den jungen Mann mit grossen Augen. „Aber wieso“…, begann Mike und stockte. Emma sah Ike fragend an und als dieser nickte, begann sie zu lachen: „Ach so, also ich hatte immer geglaubt, der weise Mann wäre steinalt, aber es ist nur ein normaler Erwachsener“. Richard lächelte: “Ich heisse Richard und bin in der Tat ein ganz normaler Erwachsener. Und ihr müsst Emma und Mike sein. Schön, euch kennenzulernen. Tessa hatte die Stimmen der Kinder gehört und trat jetzt auch ins Zimmer. Als sie Richard sah, erschrak sie leicht, senkte den Blick und sagte: „Willkommen Sir Richard. Ich freue mich, Sie wohlauf zu sehen“. „Danke, ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen, Tessa“, erwiderte Richard, „bring uns bitte etwas zu trinken. Ich muss mich ein wenig mit den Kindern unterhalten“. Tessa nickte und verschwand rasch in der Küche. Die Kinder hatten von einem Erwachsenen zum anderen geblickt und konnten sich ihr Verhalten nicht erklären. Weshalb war Tessa beim Anblick von Richard zusammengezuckt und weshalb nannte sie ihn „Sir“ Richard und vermied seinen Blick. Richard hatte die Verwirrung der Kinder bemerkt. „Setzt euch erstmal“, begann er. „Ihr habt eine lange Reise unternommen, um mich zu finden. Ihr habt mir viel Neues vom König berichtet und nun will ich euch auch eine kleine Geschichte erzählen. Ich lebe seit vielen Jahren nun schon hier in den Bergen. Aber ich bin nicht hier geboren. Mein ganzer Name lautet Richard Patrick von Eichenwald.“ Bei der Erwähnung dieses Namens entfuhr Liza ein kurzer Schrei. „Dann seid ihr verwandt mit dem König, Sir Henry von Eichenwald!“ rief sie. Den Kindern fuhr ein Schreck in die Glieder. Der weise Mann war ein Verwandter des Königs und sie hatten ausgerechnet ihn um einen Rat gefragt, wie sie den König umstimmen könnten. Bestimmt würde er nun alles beim König ausplaudern und sie würden doch noch im Kerker landen. „Ja, das ist richtig“, fuhr Richard fort, „ich bin sein jüngerer Bruder. Aber ihr müsst keine Angst haben“, beruhigte er die Kinder, als er ihre grossen Augen bemerkt und wohl auch ihre Gedanken erraten hatte. „Ich werde euch nicht verraten. Ich habe meinen Bruder schon viele, viele Jahre nicht mehr gesehen. Wir haben uns getrennt, als ich sechzehn Jahre alt war. Im Schloss war es damals unerträglich geworden. Es war klar, dass er als ältester Sohn unserer Eltern einmal den Thron besteigen würde. Ich sollte dafür einen Landsitz hier in der Nähe erhalten, ohne Aufgaben und wirklichen Nutzen. Ich begann zu rebellieren und war nicht besonders nett zu meinem Vater. Wie ihr vielleicht wisst, war unsere Mutter kurz nach meiner Geburt an einer unheilbaren Krankheit verstorben. Unser Vater war wohl mit unserer Erziehung nebst dem Regieren immer etwas überfordert. Ich provozierte ihn, wann immer ich konnte, war ungehorsam und frech. Ich verachtete meinen Bruder, der bei meinem Vater versuchte, immer alles Recht zu machen, nie widersprach und stets der Liebling war. Irgendwann realisierte ich, dass es so nicht weiter gehen konnte und bat meinen Vater um Erlaubnis, das Schloss zu verlassen. Er gab nur zögernd sein Einverständnis, sah aber schliesslich ein, dass es besser für alle sein würde. Ich beendete die Schule und zog mich später hier in die Berge zurück.“ „In der Schule hatte uns der Lehrer einmal erklärt, dass der Bruder des Königs ins ferne Ausland gezogen sei, um zur See zu fahren. Er käme aber wohl niemals zurück, weil er das Meer so sehr lieben würde“, warf Mike ein. „Das ist die offizielle Version der Geschichte“, fuhr Richard fort. „Man wollte einen Skandal in der Königsfamilie vermeiden. Niemand sollte etwas vom Streit und Zwist in der Königsfamilie erfahren“. Die Kinder schwiegen. Emma schwirrte der Kopf. Sie hatte so viele Fragen auf einmal, so dass es plötzlich aus ihr heraussprudelte: “Aber haben Sie Ihren Bruder oder Ihre Eltern nie vermisst? Und weshalb leben Sie jetzt schon so lange hier in den Bergen? Und wenn Sie uns das nun alles haben, dann ist es doch eigentlich gar kein Geheimnis mehr. Also wieso haben Sie uns alles erzählt und weshalb will Ihr Bruder die Geschenke plötzlich verbrennen und ...“ „Das sind viele Fragen auf einmal“, unterbrach sie Richard schnell. „Ich werde sie euch bald – mit Ausnahme von einer - alle beantworten. Ich habe beschlossen, mit euch zurückzukehren. Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt, nach Hause zurückzukehren. Ihr müsst mir aber versprechen, meine Identität einstweilen nicht zu verraten. Wenn uns jemand fragt, bin ich einfach Richard, euer Onkel. Ihr dürft mich auch nicht siezen und nennt mich beim Vornamen. Ich werde für die Reise packen und mich vorbereiten, so dass ihr mich jetzt entschuldigen müsst. Ruht euch noch etwas aus. Morgen früh reiten wir los.“
Die Kinder lagen am Abend noch lange in ihren Betten wach und diskutierten die neueste Entwicklung ihrer Reise. „Wenn der Bruder des Königs mit uns nach Hause zurückkehrt, wird bestimmt alles gut werden“, schwärmte Liza. Auch die anderen Kinder waren sich einig, dass es Richard sicherlich gelingen würde, seinen Bruder zu überzeugen, die Geschenke zurückzugeben. „Die Leute werden jedenfalls Augen machen, wenn wir mit dem Bruder des Königs ins Dorf zurückkommen“, warf Ike begeistert ein. „Wir dürfen nichts verraten“, wandte Mike ein. „Wie kann es sein, dass sich Richard und Henry einfach so getrennt und nicht mehr zusammengefunden haben“, fragte Emma. Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne ihre Eltern oder ihre Brüder aufzuwachsen: „Die müssen doch unheimlich einsam und traurig gewesen sein“, warf sie immer wieder ins Gespräch ein, bis Ike schliesslich laut gähnte: „Wenn du jetzt nicht endlich damit aufhörst und uns schlafen lässt, wirst du auch bald sehr einsam sein, wenn du allein im Stall übernachtest. Emma schnitt eine Grimasse: „Euch würde ich da jedenfalls nicht vermissen. Die Ponies wüssten es wenigstens zu schätzen, dass jemand sie mag! Henry und Richard haben sich sicherlich auch mal sehr gemocht, schliesslich sind sie ohne ihre Mutter aufgewachsen“ „Gute Nacht, Emma!“, riefen alle Kinder im Chor und kicherten. Emma grummelte noch etwas Unverständliches, dass sich nach „kleingeistige einfaltspinslige Eremiten“ anhörte, kuschelte sich in ihre Decke und schwieg beleidigt. Und bald schliefen alle Kinder tief und fest.
Richard hatte ein eigenes Pferd. Es war ein unscheinbarer Brauner mit zottiger schwarzer Mähne und Schweif und einem dunklen Winterfell. Die Kinder hatten ihre Ponies gesattelt und bepackt. „Wir nehmen einen anderen Weg als denjenigen, den ihr gekommen seid“, erklärte Richard. „Er ist ein wenig steiler, aber so können wir es in einem Tag bis zur Hütte von Erich schaffen, wenn wir einen Weg über den Fluss finden.“ Emma schauderte: „Müssen wir nochmals über das Eis? Ich habe keine Lust auf ein zweites Bad“. „Wir werden aufpassen müssen, aber es gibt keinen schnelleren Weg zurück zum Dorf. Es wird uns schon etwas einfallen,“ beruhigte sie Richard. „Nun aber los, wir haben einen rechten Weg vor uns und das erste Stück müssen wir die Tiere am Zügel nehmen und laufen“. Mike hatte den Fuss noch leicht eingebunden, konnte aber schon wieder ganz gut laufen, jedenfalls liess er sich nichts anmerken. Der Abstieg führte wiederum über ein Geröllfeld, war aber nicht schwierig zu bewältigen. Alle konzentrierten sich darauf, keinen Fehltritt zu machen. Ausser dem gelegentlichen Schnauben der Tiere und dem Klacken der aneinander stossenden Steine, war nichts zu hören. Emma brannte darauf, Richard über seinen Bruder und seine Familie auszufragen und wartete auf einen günstigen Moment, auf irgendeine Bemerkung von Richard oder dem Beginn eines Gesprächs. Aber alle schienen, mit sich selbst beschäftigt zu sein und Emma traute sich nicht, von sich aus zu beginnen. Schliesslich zeigte Richard nach vorn: „Dort beginnt der Weg. Wir können aufsitzen und etwas plaudern.“ Dabei sah er kurz zu Emma, die verlegen zur Seite blickte. Wieso konnte er wissen, was sie so beschäftigte. „Wir haben uns gefragt“, begann zu ihrem Erstaunen Liza, die sie verstohlen anschaute, „wieso Sie, also wieso du ausgerechnet hier in die Berge gezogen bist und ob dich nie das Heimweh gepackt hat.“ „Das Meer und die Berge haben mich schon immer fasziniert“, begann Richard. Da unser Land bekanntlich nicht an ein Meer grenzt, hätte ich weit wegziehen müssen, wenn ich mir den Traum des Seefahrens wirklich hätte erfüllen wollen. Tatsächlich wollte ich meine Familie trotz allem Streit und allen Unstimmigkeiten aber nicht gänzlich aus den Augen verlieren. Eigentlich hänge ich an meiner Familie, aber das habe ich erst später gemerkt.“ Emma warf Ike einen triumphierenden Blick zu. „So beschloss ich“, fuhr Richard fort, „erstmal hier in den Bergen mein neues Zuhause aufzubauen. Tessa weiss natürlich Bescheid. Sie hat dafür gesorgt, dass die Leute nur von einem ‚weisen Mann‘ in den Bergen geredet haben. Hin und wieder kamen Leute, die mich um Rat gefragt haben. Aber niemand hat mich je erkannt.“ „Aber es muss doch unheimlich einsam sein, so allein in den Bergen“, wandte Emma ein. Haben Sie..., ich meine hast du deinen Vater, deinen Bruder oder Freunde nie besuchen wollen?“ „Wahrscheinlich wisst ihr, dass Gregor, mein Vater und früherer König vor einiger Zeit von einer Reise nicht zurückgekehrt ist. Mein Bruder musste den Thron daher vor seiner eigentlichen Zeit besteigen. Ich hatte keine Zeit mehr gehabt, mich mit meinem Vater zu versöhnen. Mein Bruder wünschte, dass ich bei seiner Krönung anwesend sei. Er wollte so tun, als sei nichts gewesen und sagte, ich könne doch wieder zurück an den Hof kommen. Dreimal schickte er mir deshalb einen Gesandten und dreimal schickte ich den Gesandten wieder weg. Er fand es nicht einmal nötig, selbst zu kommen.“ Die Kinder hörten die Bitterkeit in Richards Stimme und schwiegen betroffen. Schliesslich meinte Ike zögernd: „Wären Sie, ich meine wärst du zurück ins Schloss gegangen, wenn er dich persönlich darum gebeten hätte?“ Richard sah Ike in die Augen: „Ehrlich gesagt: Ich weiss es nicht – wahrscheinlich nicht. Was soll ich dort? Es ist irgendwie doch nicht mein zu Hause – nicht mehr.“ „Und du warst nicht an seiner Krönung“, fragte Liza ungläubig. „Das war doch ein richtig grosses Fest und wäre vielleicht eine Gelegenheit gewesen, sich zu versöhnen“. Richard hatte sich wieder beruhigt und schmunzelte: „Doch, ich verkleidete mich als alten Mann mit langem Bart und schlich mich sogar kurz ins Schloss. Ich kenne ja alle Winkel, Ecken und Geheimgänge und bei der Aufregung um die Krönung hat mich niemand bemerkt. Nicht einmal mein Bruder, obwohl ich für eine kurze Zeit fast neben ihm stand. Aber nein, wie hätte ich mich mit ihm versöhnen können, in einem Moment, in dem er der mächtigste Mann des Königreichs wird“. Die Kinder stellten sich Richard als verkleideten alten Mann vor und sahen nun in ihren Gedanken, den weisen alten Mann, den sie sich schon während der ganzen Reise vorgestellt hatten und den sie in den Bergen hätten antreffen wollen. Stattdessen hatten sie den Bruder des Königs gefunden und ritten nun mit ihm zusammen nach Hause. Grosser Stolz durchfuhr sie bei diesem Gedanken, aber auch etwas Kummer, wenn sie an die Geschichte von Richard dachten, der keine Eltern, kein Zuhause und sich im Streit von seinem Bruder getrennt hatte. Und wie würde es ihnen nun gelingen, den König davon zu überzeugen, die Geschenke nicht zu verbrennen? Wenn der König wütend auf seinen Bruder war, wieso sollte er dann auf ihn hören? Diese Fragen wagten sie Richard nicht zu stellen. Stattdessen kam Mike mit einer anderen Frage: „Stimmt es, dass dein Vater spurlos verschwunden ist? In der Schule hat uns der Lehrer erzählt, er sei zusammen mit 12 Soldaten unterwegs gewesen, aber an seinem Ziel nie angekommen. Alle Suche sei ergebnislos geblieben. „Ja, das ist richtig“, erwiderte Richard ernst. Ich selbst habe nach ihnen gesucht. Es ist bis heute unklar, was mit der ganzen Reisegruppe geschehen ist.“ Danach schwieg Richard und die Kinder trauten sich nicht, noch mehr persönliche Fragen zu stellen. So trotteten sie eine ganze Weile schweigend nebeneinander her, bis sie plötzlich ganz unerwartet wieder an das Ufer des Flusses gelangten. „Dort haben wir den Fluss überquert“! rief Mike und deutete auf einen kleinen Baum nahe am Ufer. „Stimmt“, seufzte Emma. „Dort ist die Stelle, wo ich eingebrochen bin. Ich möchte auf keinen Fall hier wieder rüber“. „Wartet hier“, sagte Richard und stieg vom Pferd. „Ich werde mir das Ufer einmal anschauen“. Kurz darauf kehrte er zurück. „Hier ist aber tatsächlich die beste Stelle, den Fluss zu überqueren. Das Eis ist noch immer recht dick, aber ich glaube nicht, dass es die Ponies und mein Pferd tragen wird. Mein Pferd wird den Rückweg zu Tessa ohne mich finden und die Ponies werden von hier das Dorf flussaufwärts erreichen. Sie werden den Stall des Müllers finden und ich werde eine Nachricht auf dem Sattel befestigen, damit er sie wieder zurück zu ihrem Besitzer bringen kann.“ Die Kinder sahen sich erschrocken an. „Du meinst, wir sollen den ganzen Weg zu unserem Dorf zurücklaufen?“, fragte Emma und schaute traurig auf ihr Pony. Abgesehen davon, dass sie nicht besonders gerne lange zu Fuss ging, war ihr das Pony ans Herz gewachsen und sie hatte Angst, es einfach so gehen zu lassen. „Es gibt keine andere Lösung“, erwiderte Richard. „Aber ich kenne ein paar gute Abkürzungen durch den Wald, so dass wir nicht viel länger brauchen, als wenn wir mit den Ponies unterwegs wären.“ Richard nahm ein paar Sachen vom Pferd, schrieb eine kurze Notiz auf ein Papier und befestigte es an den Zügeln. Er gab seinem Pferd einen ordentlichen Klapps mit der flachen Hand auf sein Hinterteil und rief: „Heh, ab mit dir nach Hause!“ Sein Pferd wieherte empört auf den Klapps und trabte davon. Die Kinder stiegen von den Ponies, die dem davonlaufenden Pferd verwundert nachschauten. Sie nahmen ihrerseits ihre Sachen von den Ponies. Richard hatte in der Zwischenzeit wiederum zwei kurze Briefchen geschrieben, die er an den Sätteln festband. „Tschüss mein Kleiner, pass gut auf dich auf“, flüsterte Emma Efe zu. „Wir sehen uns zu Hause wieder“. Auch die übrigen Kinder streichelten ihre Ponies, die sie lieb gewonnen hatten, nochmals über den Kopf und sagten Lebewohl. Dann jagten sie die Ponies auf dem Weg flussaufwärts davon und schon bald waren sie nicht mehr zu sehen. Als sie nun alle am Flussufer standen, begann Emma zu zittern. „Ich werde keinen Fuss auf diese Eisfläche setzen“, sagte sie bestimmt. Alle sahen sie etwas ratlos an. Schliesslich begann Mike zu strahlen und begann in seinem Rucksack zu wühlen: „Wir nehmen das Seil, das ich schon die ganze Zeit mit mir rumtrage! Wir binden das eine Ende hier um diesen Baumstamm und das andere um den Stamm des Baumes auf der anderen Seite. Dann kannst du dich daran festhalten und wenn das Eis tatsächlich einbrechen sollte, kannst du dich hangeln.“ Emma sah ihren Bruder und das Seil in seinen Händen zweifelnd an. „Das Seil ist ja nicht besonders dick. Ausserdem muss zuerst jemand auf die andere Seite mit dem einen Ende des Seils und es so gut festzurren, dass es halten würde, wenn sich jemand mit seinem ganzen Gewicht dranhängt.“ „Die Idee ist gut“, unterbrach sie Richard. „Ich werde das übernehmen“. Er befestigte das eine Ende des Seiles am Baumstamm, der am Flussufer stand und band sich das andere Ende um die Hüfte. „Warte“, sagte Mike. „Ich bin viel leichter als du. Ich werde als Erster gehen, dann kannst du dich ebenfalls schon etwas auf das Seil stützen und dein Gewicht verringern“. Richard sah ihn kurz an und nickte. Er entfernte das Seil von seiner Hüfte und band es Mike um den Bauch. „Kennst du dich aus mit Knoten?“, fragte er. „Klar, Maurerknoten. Sehe euch drüben!“ rief er den anderen zu und betrat vorsichtig das Eis. Richard und die Kinder sahen angespannt zu, wie Mike sich langsam und behutsam über das Eis vorantastete und bei jedem Schritt etwas innehielt, wenn er das Gefühl hatte, das Eis könnte nachgeben. Es knirschte und knackte bedrohlich, als Mike die Mitte des Flusses erreicht hatte. Er zögerte einen Augenblick. Er erinnerte sich noch genau, wie schnell es bei Emma gegangen war, als sie eingebrochen war. Er begann trotz der Kälte zu schwitzen. Aber das andere Ufer schien jetzt zum Greifen nah. Er sah unsicher zu den anderen am Flussufer zurück. Nein, er wollte nicht zurück. Er begann ganz langsam voranzugehen. Nochmals ächzte das Eis unter seinem Gewicht. Nach den nächsten vorsichtigen Schritten schien das Eis dunkler und dicker zu werden. Mike atmete tief durch und erreichte schliesslich sicher das andere Ufer. Die Kinder riefen hurra und lachten. Richard seufzte erleichtert. Rasch löste Mike das Seil von seiner Hüfte und band es mit einem Maurerknoten um den Stamm des anderen Baumes, genau oberhalb eines dicken Astes, der verhindern würde, dass das Seil bei schrägem Zug nach unten abrutschen konnte. Das Seil verlief jetzt etwa in einer Höhe von eineinhalb Meter über den Fluss und war gut gespannt. Die Kinder sahen sich an. „Ich gehe zuerst und dann kommst du nach, Emma“, entschied Liza. Mit beiden Händen hielt sie sich am Seil über ihrem Kopf und lief vorsichtig los. Sobald das Eis unter ihren Füssen zu knacken begann, zog sie etwas fester am Seil, um sich leichter zu machen. Ohne Probleme gelangte sie ans andere Ufer. Liza winkte Emma zu. Emma zögerte noch einen kurzen Moment, gab sich dann aber einen Ruck, atmete einmal tief ein und machte es Liza nach. Sie versuchte möglichst kein Gewicht auf das Eis zu geben und hangelte sich mehr oder weniger am Seil ans andere Ufer und liess sich dort erschöpft zu Boden sinken. „Puh, von jetzt an nehme ich nur noch Brücken“. Kurz nach ihr waren auch Ike und Richard, der das Seil ebenfalls stark in Anspruch genommen hatte, ohne Zwischenfall angekommen. „Ich glaube, wir sollten das Seil hierlassen“, meinte Richard. „Es macht keinen Sinn, es zu holen und dabei doch noch zu riskieren, dass einer von uns einbricht. Das Seil dient vielleicht auch noch anderen, um über den Fluss zu kommen.“ Damit waren alle einverstanden und sie machten sich auf, das letzte Stück zur Hütte von Erich unter die Füsse zu nehmen. Erich freute sich, als die Kinder und Richard bei ihm eintrafen. „Ich hatte mir schon etwas Sorgen gemacht. Zum Glück habe ich gehört, dass sich Emma gut von ihrem Bad im Fluss erholt hatte. Ich habe noch immer einen fürchterlichen Schnupfen von dem Eiswasser“. Wie zur Demonstration schneuzte er sich laut in ein grosses Taschentuch. „Das ist unser Freund aus den Bergen“! Liza zeigte auf Richard. „Er bringt uns zurück nach Hause. Die Ponies mussten wir leider am anderen Ufer zurücklassen. Das Eis war nicht mehr stark genug, sie zu tragen“. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.“ Ich hoffe, du hast eine gute Idee, wie wir zu unseren Weihnachtsgeschenken kommen,“ sagte Erich zu Richard. „Meine Schwester wollte mir eine neue Angelrute schenken. Die steckt jetzt schon in einem der Pakete auf dem Dorfplatz.“ Richard lächelte und schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. „Leider ist mir die zündende Idee noch nicht gekommen. Aber wir wollen möglichst rasch zurück ins Dorf. Wir werden morgen früh eine Abkürzung durch den Wald entlang des Bachbetts nehmen. Dann können wir es in einem Tag ins Dorf schaffen.“ „Der Weg ist aber nicht ganz ungefährlich“, entgegnete Erich mit ernster Stimme. „Ausserdem treiben sich seit einiger Zeit wieder ein paar üble Ganoven hier in der Gegend herum. Ihr solltet lieber auf dem Weg bleiben und noch eine Nacht bei Harry übernachten. Die Kinder hatten Heimweh und die Aussicht, morgen schon wieder zu Hause zu sein, liess sie aufhorchen. „Das wäre toll, morgen wieder im Dorf zu sein“, entfuhr es Emma. „Ich meine, dann hätten wir auch noch etwas mehr Zeit, um zu einer guten Idee zu kommen, die Geschenke zu retten“. Mike nickte. „Ich habe das Gefühl, wir sind schon ewig unterwegs. Wieder mal im eigenen Bett zu schlafen, das wäre schön.“ „Ich wäre auch dafür“, schloss sich schliesslich Liza an. Ich vermisse meine Mutter. Sie wird sich bestimmt schon Sorgen machen.“ Alle blickten zu Ike: „Oh ja, für eine Abkürzung bin ich immer zu haben und wenn wir noch ein paar Ganoven treffen, haben wir zu Hause noch mehr zu erzählen,“ scherzte er. Richard zögerte. „Ich möchte uns nicht unnötig in Gefahr bringen und auf einen Tag käme es wohl nicht an, wir können die Zeit ja trotzdem nutzen, um uns Gedanken um die Geschenke zu machen“. Aber als er die enttäuschten Gesichter der Kinder sah, fügte er an: „Auf der anderen Seite ist der Wald gross und es wäre ein dummer Zufall, irgendwelchen Räubern über den Weg zu laufen und schliesslich haben wir ja nichts, das sie uns wegnehmen könnten. Also denke ich, sollten wir es wagen.“ Die Kinder strahlten.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück machte sich die kleine Truppe auf zum letzten Teil ihrer Reise. Die Hoffnung, am Abend bereits wieder zu Hause zu sein, schien ihnen allen Flügel zu verleihen. Munter spazierten sie hintereinander auf einem schmalen Weg neben einem kleinen Bach, der ihnen entgegen sprudelte. Manchmal mussten sie einen kleinen Umweg machen, über umgestürzte Bäume klettern oder über ein paar Steine kraxeln. Aber Richard ging vorsichtig und zielstrebig voran und zeigte jeweils den ungefährlichsten Weg. Es ging stetig leicht bergan und schon bald mussten sie eine erste Rast einlegen. Mike kauerte am Bachrand, tauchte seine Hände in das kalte Wasser und wischte sich damit das Gesicht ab. „Ich wette, Mama kocht uns heute Abend etwas Feines zum Abendessen“. „Ich freue mich schon auf ein warmes Bad und mein weiches Bett“ meinte Ike und gähnte demonstrativ. „Das viele Reisen macht müde. Ich wünschte, wir wären schon zu Hause. Ist es eigentlich noch weit?“ Richard schmunzelte. „Ihr habt schon ziemlich Heimweh, was? Kann ich verstehen. Ihr habt eine lange Reise hinter euch. Nun, ein wenig dauert es schon noch. In zwei, drei Stunden kommen wir auf den früheren Weg zurück und dann sind wir schon bald zu Hause.“ „Aber was machst du dann“, fragte Liza und fügte leise hinzu: „Du hast doch gar kein richtiges Zuhause mehr“. „Du kannst sicher zu uns kommen“, schlug Emma vor. Wir haben ein kleines Zimmer, das eigentlich leer steht. Unsere Eltern haben bestimmt nichts dagegen“. „Das ist lieb von euch“, erwiderte Richard. „Aber ich werde wohl zuerst einmal ein Zimmer im Gasthaus nehmen und überlegen, wie ich ins Schloss komme. Ich möchte herausfinden, was in meinem Bruder wirklich vorgeht und weshalb er Weihnachten plötzlich abschaffen möchte“. Mike sah ihn mit grossen Augen an. „Wie willst du das machen? Das Schloss ist mit Soldaten und Hunden bewacht und der König würde dich sicher wiedererkennen. Es wird sicher nicht nochmals möglich sein, sich als alter Mann zu verkleiden, weil der ja auch nicht mehr so einfach ins Schloss kommt“. „Kommt Zeit, kommt Rat“, meinte Richard unbekümmert. „Uns wird schon etwas einfallen, wenn wir erstmal im Dorf sind. Lasst uns nun weiter gehen, wir haben noch eine rechte Strecke hinter uns zu bringen“. Die Kinder packten ihre Rucksäcke und machten sich mit Richard an der Spitze auf, das letzte Stück der Heimreise anzutreten. Nach einer Weile bemerkte Emma, dass sich Liza häufig umsah und in alle Richtungen in den Wald spähte. „Was ist?“ flüsterte sie Liza zu. „Hast du wieder die Fährte von unserem Bären oder den Wölfen aufgenommen?“ „Nein, das nicht“. Liza zögerte mit der Antwort. „Aber trotzdem stimmt irgendetwas nicht mit dem Wald“. „Was meinst du, etwas stimmt nicht mit dem Wald? Er sieht doch aus wie immer“. Richard blickte sich nun ebenfalls fragend um. „Liza kann den Wald lesen“, klärte Emma Richard auf. „Aber jetzt eben gerade nicht“, fügte Liza leise hinzu und schaute erneut zurück. „Wir sollten ...“ aber weiter kam sie nicht, da sie in diesem Moment drei Männer mit grossen Stöcken in ihren Händen hinter den Bäumen hervortreten sah. Sie trugen alle einen langen braunen Mantel, hatten struppige Bärte und an ihren Gürteln hingen schwere Messer. Mit grimmigem Gesicht starrten sie Richard und die Kinder schweigend an. Liza zuckte zusammen und wollte im ersten Moment davonlaufen, aber als sie nach vorne sah, erkannte sie zu ihrem Schrecken vier weitere Männer, ebenfalls mit Stöcken bewaffnet, die ihnen den Weg auch in die andere Richtung abgeschnitten hatten. Es gab keinen Fluchtweg mehr. „Bleibt einfach ruhig“, flüsterte Richard den Kindern zu, die sich jetzt dicht um ihn drängten. „Hallo“, rief er den Männern vor sich zu. „Ich und die Kinder suchen den Weg ins Dorf. Aber ich glaube, wir haben uns verlaufen. Vielleicht könnt ihr uns den richtigen Weg weisen?“. Die Männer musterten sie aufmerksam, gaben aber keine Antwort. „Na ja“, Richard versuchte locker zu wirken, aber die Kinder spürten seine Anspannung, “dann werden wir uns wohl einfach weiterhin an den Flusslauf halten und uns besser mal auf den Weg machen“. Jetzt traten zwei der Männer, die vor ihnen standen auf sie zu. Der etwas kleinere trug einen breitkrempigen Hut. Eine tiefe Narbe verlief unter seinem rechten Auge fast bis zur Schläfe. „Das werdet ihr erstmal bleiben lassen“, sagte er tonlos. Er deutete mit seinem Stock auf den Rucksack von Mike, der ihm am nächsten stand: „Aufmachen und ausleeren!“ Mike zögerte einen Moment und blickte fragend zu Richard. Dieser nickte ihm unmerklich zu. Mike knüpfte seinen Rucksack auf und schüttete den kargen Inhalt, einige Kleider, etwas Proviant und seine Thermosflasche auf den Waldboden. Der Mann mit dem Hut stocherte kurz mit seinem Stock in den Sachen von Mike und machte ein enttäuschtes Gesicht, als er die paar wenigen Münzen darin entdeckte. Er wandte sich zu Richard und den anderen Kindern: „Jetzt ihr!“ Sie leerten rasch ihre Rucksäcke auf. In Richards Sachen fanden sich einige Goldstücke in einem Lederbeutel, die ein kurzes Grinsen bei den Männern auslöste. „Na gut“, meinte der Mann mit dem Hut und steckte die Münzen der Kinder in den Beutel mit dem Gold und versorgte ihn in seine Manteltasche. „Wenigstens etwas. Jetzt packt eure Habseligkeiten und verschwindet.“ Die Kinder atmeten erleichtert auf und stopften schnell ihre Sachen wieder in ihre Rucksäcke. Ohne weiter um Erlaubnis zu fragen, machten sich Richard und die Kinder wieder auf den Weg. Die zwei Männer, die oben noch am Weg standen, gaben ihn aber nicht frei und stellten sich ihnen in den Weg. Der eine von Ihnen hatte seine langen Haare zu einem Rossschwanz zusammengebunden. Er baute sich drohend vor Richard auf: “Ihr müsst bezahlen, wenn ihr hier durchwollt“. „Ich habe nichts mehr“, entgegnete Richard mit ruhiger Stimme. „Ihr habt schon alles gestohlen“. „Gestohlen?“ wiederholte der Mann mit dem Rossschwanz langsam. „Ihr nennt uns Diebe?“ Richard schwieg. „Es ist ein bescheidener Wegzoll“, fuhr der Mann fort, „damit ihr sicher und unbehelligt in euer Dorf kommt. Und da ihr offenbar kein Geld mehr habt, werdet ihr mir eure Stiefel als Zahlung geben. Zieht sie aus!“ befahl er. „He!“ fuhr es jetzt plötzlich aus Ike heraus, „dazu habt ihr kein Recht. Das ist der Bruder des Königs!“ Noch ehe Ike das letzte Wort aus dem Mund geschossen war, bemerkte er seinen Fehler, konnte ihn aber nicht mehr korrigieren. Eine Stille legte sich plötzlich über die ganze Szene, als wären alle für einen kurzen Moment eingefroren. Dann begannen die Männer zu lachen. Zuerst zaghaft und dann immer lauter und herzhafter. An der Reaktion der Kinder und Richard hatten sie sofort gemerkt, dass Ike die Wahrheit gesagt hatte. Als sich die Männer nach kurzer Zeit beruhigt hatten, war der Mann mit dem breitkrempigen Hut zu Richard geschritten. „So, so, der Bruder des Königs mit vier Kindern allein im Wald unterwegs. Ich glaube, der König wird sich eure Freiheit eine Stange Geld kosten lassen.“ „Ihr wollt den König um Lösegeld erpressen“? fuhr Richard ihn an. „Das könnte euch teuer zu stehen kommen“. „Schweig, Dummkopf!“ entgegnete der Mann barsch. „Hör mal Chef“, flüsterte ihn der dritte Mann zu, „er könnte Recht haben. Es ist gefährlich, sich mit dem König anzulegen“. „Sei kein Hasenfuss, Henne“, fuhr der Anführer ihn an. „Das ist unsere grosse Chance. Endlich können wir einen Haufen Geld machen und dann für immer von hier verschwinden. Los!“ befahl er zu den anderen, „wir bringen sie zu unserem Versteck“. „Ich Idiot!“, fluchte Ike leise vor sich hin, als sie von den Räubern gut bewacht quer durch den Wald stapften. Er war den Tränen nahe. Auch die Mädchen hatten feuchte Augen und Angst vor dem, was nun wohl kommen würde. „Mach dir keine Vorwürfe“, versuchte Richard Ike zu trösten. „Man kann sich nicht immer beherrschen, vor allem wenn man Unrechtes erkennt. Es war eigentlich recht mutig von dir, diesem Taugenichts zu widersprechen. Wir finden schon wieder einen Weg, der uns in die Freiheit führt.“ Nach einem kurzen Marsch gelangten sie an ein kleines Häuschen, aus dessen Kamin dünner Rauch emporstieg. „Das ist das alte Jägerhaus“, flüsterte Liza Richard zu. „Das kenne ich gut. Es wird nur im Herbst benutzt und dient als Nachtlager für Jäger. Ich habe hier schon mal früher mit meinem Vater übernachtet“. Die Kinder horchten auf. Sie hatten Liza noch nie von ihrem Vater sprechen hören und sie auch noch nie über ihn gefragt. Im Dorf erzählte man sich, ihr Vater sei von einem Tag auf den anderen weggezogen und habe Mutter und Kind alleine gelassen. „Von hier kenne ich den Weg zu mir nach Hause. In weniger als zwei Stunden wären wir dort“. Richard nickte ihr anerkennend zu: “Gut zu wissen“. Das Jagdhaus war geräumiger, als es von aussen schien. Es bestand aus einem einzigen grossen Raum mit der Küche auf der einen und acht Stockbetten auf der anderen Seite. In der Mitte stand ein grosser Tisch, an dem die Räuber, Richard und die Kinder gut Platz fanden. Sie assen alle zusammen einen grossen Teller Suppe mit Brot. Es schien fast, als wären sie Gäste, denn niemand sagte ein böses Wort oder behandelte sie schlecht. Vielleicht hatten sie doch etwas Respekt vor dem Bruder des Königs. „Morgen schicken wir einen Boten zum König. Sein Bruder wird ein kurzes Schreiben verfassen, in dem er bestätigt, dass er in unserer Gewalt ist. Für die Bezahlung von 1000 Goldmünzen lassen wir ihn wieder frei“, liess sich der Anführer vernehmen. „Das wird die Laune des Königs zum Weihnachtsfest nicht gerade heben“, flüsterte Emma. „Wie sollen wir jetzt die Geschenke retten?“ Ike zuckte die Achseln: „Keine Ahnung. Aber ich meinte, wir sollten uns gerade mal mehr um unsere eigene Zukunft als um diejenige der Geschenke kümmern.“ „Zeit für euch“! rief jetzt der Räuberhauptmann Richard und den Kindern zu. „Ihr schlaft oben“. Er deutete auf eine schmale Treppe, die auf den Dachboden führte. Er war mit Stroh bedeckt. Offenbar hatten auch hier schon früher Leute geschlafen. Richard und den Kindern wurden die Hände und Füsse zusammengebunden. Danach banden die Räuber sie noch einzeln an Holzbalken fest, so dass sie sich gegenseitig nicht berühren konnten. Die Seile waren nicht besonders stark festgezurrt, aber doch so stark verknotet, dass es unmöglich war, sie irgendwie zu lösen oder abzustreifen. Von unten hörte man die Räuber noch lange lachen und diskutieren. Sie feierten ihren Fang und die Aussicht auf fette Beute reichlich mit Wein und Bier.
Obwohl die Kinder recht müde waren, konnten sie doch nicht einschlafen. Richard hatte versucht, zu beruhigen, indem er erklärt hatte, dass der König sie entweder sofort befreien oder das Lösegeld zahlen würde. Aber das nützte nicht viel. Emma hätte am liebsten losgeheult. Sie fühlte sich fürchterlich einsam und verloren, wenn sie daran dachte, dass sie eigentlich so nah an zu Hause war und ihre Eltern trotzdem unerreichbar schienen. „Psst, Emma“, schläfst du schon“, zischte Ike ihr plötzlich leise zu. „Nein, was ist?“ „Kommst du an meinen Rucksack?“ Emma sah sich um. Die Männer hatten die Rucksäcke der Kinder achtlos zu einem grossen Haufen zusammengeworfen, der sich nun in einer Ecke in der Nähe von Emma türmte. „Warum?“ Emma konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb Ike jetzt seinen Rucksack brauchte. Sie streckte sich trotzdem, soweit es das Seil erlaubte und ihre Fingerspitzen berührten gerade den Riemen von Lizas Rucksack, der zuunterst lag. „Darf es auch Lizas Rucksack sein“? fragte Emma. „Emma, mir ist nicht zum Scherzen. In meinem Rucksack liegt mein Taschenmesser, versteckt in einem Paar Socken.“ Die anderen Kinder waren dem Gespräch nur beiläufig gefolgt, aber beim Wort „Messer“ waren sie alle wieder hellwach und blickten aufmerksam zu Emma. Richard legte rasch seinen Zeigefinger auf seinen Mund und deutete an, leise zu sein. Emma streckte sich nun nochmals soweit sie konnte, packte den Riemen von Lizas Rucksack und zog daran so sachte sie nur konnte. Ikes Rucksack lag genau obenauf und dieser rückte nun gemeinsam mit Lizas Rucksack langsam näher und näher. Die Kinder hielten den Atem an. Mit einem letzten Ruck riss Emma die beiden Rucksäcke auf sich zu und Ikes purzelte ihr entgegen. „In den dunkelgrünen Socken“, flüsterte Ike ihr zu. Emma nestelte mit ihren zusammengebundenen Händen an den Verschlüssen des Rucksacks. Schliesslich war er offen. Als sie gerade ihre Hände hineinstecken wollte, hielt sie plötzlich inne. „Sind die Socken gebraucht oder gewaschen?“ Ike schnaubte: „Jetzt halt einfach mal die Luft an und hol meine Socken raus“. Emma rümpfte demonstrativ die Nase. Aber dann ertastete sie, sorgsam eingepackt in einem Paar unscheinbarer Socken, das kleine Taschenmesser von Ike. Trotz gefesselter Hände gelang es ihr, die Klinge zu öffnen. Sofort begann sie vorsichtig das Seil, das sie am Holzbalken festband, durchzuritzen. Die anderen Kinder und Richard sahen ihr mit pochenden Herzen zu. Plötzlich gab es ein dumpfes „Plong“, das durch den Dachboden hallte. Emma war das Messer aus der Hand und auf den Holzboden gefallen. Die Kinder erstarrten. Aber nichts rührte sich. Von unten hörte man jetzt das gleichförmige Schnarchen der Männer. Vorsichtig hob Emma das Messer wieder auf und schnitt weiter. Dann zerrte sie am Seil, welches am angeschnittenen Ort zerriss. Liza entglitt ein leiser Seufzer der Erleichterung. Rasch ging Emma mit dem Messer zu Richard und begann vorsichtig, seine Handfesseln zu zerschneiden, ohne ihn zu verletzen. Nach kurzer Zeit war er frei. Nun nahm er das Messer und befreite zunächst Liza und dann die beiden Brüder. Alles geschah ohne einen Mucks. „Wie kommen wir hier jetzt raus, ohne dass die Banditen aufwachen“? flüsterte Mike. Liza deutete auf eine grosse Dachluke. „Wir können über die Luke aufs Dach. Ein paar Meter von dort steht eine grosse Leiter angelehnt. Die stammt noch von der Dachrenovation im letzten Sommer. Ich habe sie beim Reingehen gesehen.“ Richard nickte: “Nehmt eure Rucksäcke.“ Er öffnete die Luke, die leise quietschte und kniete darunter. „Steigt auf meine Schulter und dann hoch mit euch!“ Emma kletterte auf Richards Schultern und zog sich durch die Luke aufs Dach. Sie blickte um sich und sah tatsächlich nur wenige Meter entfernt die Leiter. „Ich seh’ sie“, flüsterte sie den anderen nach unten zu und tastete sich auf allen Vieren langsam auf dem glücklicherweise nicht allzu schrägen Dach zur Leiter. Kurz darauf steckte Liza den Kopf aus der Luke und tat es Emma gleich. Schon bald waren die beiden Mädchen unten am Boden angelangt und starrten angestrengt nach oben. „Was machen denn die Jungs so lange“, fragte Liza nervös. „Weiss nicht“, sagte Emma langsam, als auch nach ein paar Minuten niemand erschien. Die beiden blickten sich ratlos an. Waren die Diebe aufgewacht und hatten die Flucht der anderen verhindert? Allerdings war es totenstill. Wären die Männer aufgewacht, hätten sie bestimmt einen rechten Radau veranstaltet. „Ich geh jetzt nachschauen“, sagte Liza endlich, „das ist ja nicht zum Aushalten.“ Sie wollte gerade wieder die Leiter emporsteigen, als Emma ihr leise zurief: „Da kommt Mike!“ Tatsächlich kletterte gerade Mike aus der Luke und gleich nach ihm Ike. Schliesslich zwängte sich Richard durch die Luke. „Was war los?“ empfing Liza Mike wütend. „Wir hatten Angst, euch sei etwas passiert“. „Es war wegen Ike“, begann Mike. Aber Ike und Richard stiegen schon die Stufen hinab. Richard wirkte irgendwie wütend, aber nicht so richtig schlimm. Emma kannte den Gesichtsausdruck von ihrem Vater. So sah er aus, wenn er mit den Kindern wegen einer Dummheit schimpfte, aber nicht wirklich böse war. Ike hingegen hatte eine schuldbewusste Miene aufgesetzt, kletterte aber recht beschwingt und selbstzufrieden von der Leiter. Die Mädchen sahen Richard und Ike fragend an. „Später“, erklärte Richard ernst, der die Mienen von Emma und Liza gesehen hatte. „Jetzt erst mal weg von hier“. „Kommt“, Liza deutete in den Wald, „ich zeige euch den Weg“ und schritt voran. Die Kinder waren noch keine 20 Schritte gegangen, hörten sie plötzlich eine laute Stimme aus der Hütte: “Verdammt! Der Prinz und die Gören sind abgehauen! Leute aufwachen. Sie sind weg, getürmt! „Schnell!“ rief Richard. „Noch ein paar Meter in den Wald hinein und wir sind nicht mehr zu sehen. Die Kerle sind ausserdem zu betrunken, um uns zu verfolgen. Auch werden sie Angst haben, dass es hier bald nur so wimmelt von Soldaten des Königs.“ Liza begann zu joggen und die anderen Kinder und Richard liefen ihr hinterher. Schon bald konnten sie keine Stimmen mehr hören und sie waren in Sicherheit, auch wenn der Wald in der Nacht unheimlich und bedrohlich wirkte. Die Kinder liefen jetzt wieder ihr normales Tempo und mussten erstmal tief durchatmen, bevor Liza fragte:“ Was war nun mit Ike“? Richard seufzte: “Los Ike, erzähl du es ihnen“. „Na, eigentlich nichts Besonderes“, begann Ike, während dessen Mike die Augen rollte. „Ich dachte nur, wenn die Kerle so besoffen sind, werden sie nicht aufwachen, wenn ich uns das gestohlene Geld zurückhole.“ Emma stiess einen kurzen Schrei aus: „Du bist doch nicht etwa nach unten gegangen? Das war sehr gefährlich und leichtsinnig. Du hast unsere Flucht aufs Spiel gesetzt!“ Ike verteidigte sich jetzt beleidigt: „Ihr wart ja schon weg und ich war vorsichtig und leise. Ausserdem war es stockdunkel da unten. Hätte ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, wäre ich sofort umgekehrt. Und hat es wunderbar geklappt. Ich habe dem Anführer den Geldbeutel aus der Manteltasche stibitzt. Hier ist er!“ Triumphierend hielt er den gefüllten Lederbeutel in die Luft und schüttelte ihn ein wenig, so dass man die Münzen klimpern hörte. Die anderen Kinder sahen sich unschlüssig an. „Du bist ein Depp, aber ein furchtbar mutiger“ meinte schliesslich Emma und umarmte ihn. Ike war jetzt auch erleichtert. „Okay, es tut mir leid. Ich war einfach auch noch so wütend, dass ich mich verplappert habe und die Kerle uns wegen mir geschnappt hatten.“ „Nun kommt!“ rief Liza. „Jetzt ist es nicht mehr weit zu mir nach Hause“. Richard und die Kinder machten sich nun wirklich auf den letzten Teil ihrer Reise. Liza war kaum mehr zu halten. Jetzt wo ihr Zuhause und ihre Mutter so nahe waren, schien die Zeit kein Ende nehmen zu wollen. Dann aber standen sie plötzlich vor dem dunklen Haus von Liza. „Wird deine Mutter nicht erschrecken, wenn wir jetzt so plötzlich reinplatzen?“ fragte Richard. Vielleicht solltest du besser nach ihr rufen.“ Aber in diesem Moment öffnete sich die Türe und Lizas Mutter trat mit einer kleinen Laterne hinaus und rief: „Liza? Seid ihr es? Ihr seid zurück!“ Liza flog auf ihre Mutter zu und die beiden umarmten sich eine kleine Weile, ohne was zu sagen. „Ja, wir sind zurück!“ rief Emma glücklich. „Richard hat uns begleitet“ und deutete auf ihren Begleiter. „Ich weiss“, antwortete sie. Ich habe schon Nachrichten erhalten. Ich hoffe, ihr hattet eine gute Reise. Ich hatte euch schon am frühen Abend erwartet.“ Sie wandte sich zu Richard und gab ihm die Hand. „Danke, dass Sie die Kinder begleitet haben. Ich bin Carla, die Mutter von Liza“. „Keine Ursache. Ich bin Richard. Die Reise war etwas beschwerlicher, als wir uns das vorgestellt hatten. Aber das werden dir die Kinder morgen alles erzählen. Ich glaube, jetzt wäre es erstmal Zeit zu schlafen.“
"Tagsüber / Wieder zu Hause"
Auch wenn Emma, Mike und Ike todmüde waren, wollten sie nicht bei Liza übernachten, sondern nach Hause. Richard blieb bei Liza und ihrer Mutter und schärfte den Kindern nochmals ein, sein Geheimnis auf keinen Fall jemandem zu verraten. Sie vereinbarten, sich am Nachmittag im Gasthaus im Dorf zu treffen, wo Richard sich vorübergehend eine Bleibe suchen würde. Nachdem die Kinder lange geschlafen und ihren Eltern ausführlich von der Reise berichtet hatten, machten sie sich auf den Weg zum einzigen Gasthaus des Dorfes. Richard hatte sich bereits ein Zimmer gemietet und war noch in der Gaststube an einem späten Mittagessen. Liza sass bereits neben ihm. „Setzt euch“, sagte Richard zu den Kindern und deutete auf drei Stühle an seinem Tisch. Gespannt schauten die Kinder Richard an. „Hast du dir schon was wegen der Geschenke überlegt?“ flüsterte Emma. Richard zwinkerte mit den Augen: „Ja, ich habe auch schon einen Plan“, erwiderte er geheimnisvoll. „Aber ihr dürft keiner Menschenseele davon erzählen“. „Komm schon, spann uns nicht auf die Folter. Du weißt, dass wir dichthalten können“, drängte Mike, während Ike errötete, was aber niemand bemerkte. „Seht ihr den Mann, der gerade an der Bar steht?“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Mann in Richards Alter, der sich mit den Ellenbogen auf den Tresen der Bar stütze und mit dem Lesen eines Briefes beschäftigt war.. Er trug einfache Kleider, ein Wanderstock lehnte neben ihm und am Boden stand ein grosser brauner Koffer. Als die Kinder zu ihm hinüberblickten, sah er auf, steckte den Brief in seine Tasche und kam zu ihrem Tisch. „Verzeihung, wenn ich störe“, stellte er sich vor. „Ich bin Tomaso. Ihr seht aus, als ob ihr euch hier auskennt. Könnt ihr mir den Weg zum Schloss zeigen?“. Die Kinder sahen sich erstaunt an. „Bitte nehmen Sie doch Platz“, erwiderte Richard höflich. „Ich bin Richard und das sind Liza, Emma, Mike und Ike. Ich habe schon vom Wirt gehört, dass Sie eine Anstellung im Schloss antreten.“ Tomaso setzte sich, sah Richard jetzt aber misstrauisch an. „Und weshalb interessiert euch das“? Richard räusperte sich. „Ich habe eine ungewöhnliche Bitte und habe jedes Verständnis, wenn Sie sie abschlagen werden. Andererseits ist mir viel daran gelegen, dass Sie uns helfen und damit auch allen Leuten hier.“ Er erzählte Tomaso die Geschehnisse der letzten Wochen und dieser hörte aufmerksam zu. Am Ende der Geschichte blickte er Richard fragend an: “Aber was habe ich nun mit alldem zu tun und wie kann ich Euch helfen, Eure Exzellenz?“ Richard hatte Tomaso nicht verheimlicht, dass er der Bruder des Königs war. „Ich möchte, dass Sie die Stelle beim König nicht antreten, stattdessen werde ich mich für Sie dort ausgeben“. Emma unterdrückte einen leisen Aufschrei und die anderen Kinder sahen Richard mit grossen Augen an. Er wollte als Diener des Königs ins Schloss. „Dein Bruder wird dich sofort erkennen und furchtbar wütend werden“, flüsterte nun Liza ängstlich. „Der König hat mich seit Jahren nicht mehr gesehen und ich habe mich sehr verändert. Ausserdem wird der König einen einfachen Diener gar nicht genau anschauen – er wird mich gar nicht beachten. So kann ich mich aber im Schloss ungestört umschauen und in Erfahrung bringen, was überhaupt los ist. Das ist die einzige Möglichkeit, viel Zeit bleibt nicht mehr.“ Er blickte Tomaso ernst an: „Sie müssen uns helfen. Natürlich werden Sie von mir für die verlorene Stelle entschädigt“. Ich benötige ein paar Ihrer Kleider, Ihr Empfehlungsschreiben an den König und Ihr Versprechen, niemandem etwas davon zu erzählen.“ Er nahm einige Goldmünzen aus der Tasche, legte sie auf den Tisch und schob sie Tomaso zu. Dieser zögerte einen kurzen Augenblick, sah zu Richard und den Kindern, blickte auf die Goldmünzen und dann wieder zu Richard . „Einverstanden”.
„Es ist besser, wenn ihr nicht mitkommt”, erklärte Richard den Kindern am nächsten Morgen, als diese mit ihm zusammen im Gasthaus sassen. Richard hatte bereits die Kleider von Tomaso angezogen und sah jetzt wie ein einfacher, wenn auch nicht armer Bediensteter aus. „Wir dürfen beim König und bei seinen anderen Dienern keinen Verdacht erwecken. Es wäre doch seltsam, wenn ich mit euch zusammen am Tor des Schlosses aufkreuzen würde”. „Aber wir müssen doch wissen, was passiert!” entgegnete Liza. “Und ausserdem brauchst du womöglich unsere Hilfe”, fügte Emma hinzu. „Wir müssen in Kontakt bleiben”, ergänzten die Zwillinge gleichzeitig. „Das werden wir auch“, beschwichtigte Richard. „Hört zu: Die Küchenabfälle des Schlosses werden von der Küche aus durch eine kleine Lukarne in der Schlossmauer entsorgt”. „Ihr werft die Küchenabfälle einfach so durch die Mauer nach draussen?” empörte sich Liza. „Na ja,” verteidigte sich Richard etwas verlegen, „zu meiner Zeit war das jedenfalls so. Wir hatten innerhalb der Burgmauern keinen Platz für einen Komposthaufen, ausserdem kann es manchmal schon unangenehm riechen, das wollten meine Eltern nicht. Und ausserhalb der Mauern müsste man mindestens einen halben Kilometer gehen, bis man einen geeigneten Platz finden könnte. Das hätte sich kaum gelohnt.” „Aber jetzt liegt euer ganzer Müll einfach irgendwo vor der Schlossmauer. Habt ihr nicht furchtbar viele Ratten im Schloss?” fragte Liza immer noch ärgerlich. „Um die Ratten und den Komposthaufen kümmern wir uns später”, unterbrach Mike und erntete dafür von Liza einen wütenden Blick. „Jetzt sollten wir einmal wissen, wie wir uns mit dir verständigen können”. „Also,” fuhr Richard fort, sichtlich erleichtert, das Thema des Mülls verlassen zu können: „Die Luke liegt auf der Rückseite des Schlosses. Man kann sie auf einem Mauervorsprung erreichen. Sie ist zwar zu klein, um durchzukriechen, aber wir können uns ohne Schwierigkeiten durch diese unterhalten. Allerdings ist der Mauervorsprung nur schmal, aber für Kinder und geschickte Kletterer, wie ihr es seid, sollte es genügen. Es sollten aber nicht mehr als zwei von euch gleichzeitig kommen. Ich werde versuchen, immer nach Einbrechen der Dunkelheit dort zu sein und euch auf dem Laufenden halten. Der Mauervorsprung beginnt auf der Südseite des Schlosses unterhalb der Zugangsbrücke. Wenn ihr erstmal auf dem Mauervorsprung steht, seid ihr für die Wachen im Dunkeln nicht mehr zu sehen. Ihr müsst aber schon vor der Brücke den Weg zum Schloss verlassen und euch an die Südseite heranpirschen. Im Dunkeln sollte das kein Problem sein“. Die Kinder nickten. Eine Kletterpartie im Dunkeln auf einem schmalen Mauervorsprung schien ihnen nicht gerade erstrebenswert, aber natürlich wollten sie Richard ihre Furcht nicht zeigen. Dieser hatte wohl gemerkt, dass die Kinder etwas blass geworden waren. „Keine Angst”, beschwichtigte er deshalb, „es tönt gefährlicher als es ist. Ich habe als Kind den Felsvorsprung oft benutzt, um mich zu verstecken. Es ist nie etwas passiert. Aber jetzt muss ich gehen. Es bleibt nicht viel Zeit. Da ich heute erst mit der Arbeit beginne, werden wir uns morgen Abend das erste Mal bei der Luke treffen.”
Richard hatte auch den kleinen Reisekoffer von Tomaso bei sich, verabschiedete sich von den Kindern und machte sich auf den Weg zum Schloss. Auch ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, bald seinem Bruder gegenüberzustehen und so tun, als sei er jemand anders. Es schien ihm jedoch die einzige Möglichkeit, um herauszufinden, was wirklich im Kopfe seines Bruders vorging. Das Glück schien ihm hold zu sein. Mit dem Empfehlungsschreiben wurde er sogleich zum Haushofmeister vorgelassen, der ihn nur kurz dem König vorstellte. Dieser musterte ihn beiläufig und stellte kaum Fragen. „Wir werden uns später ausführlicher unterhalten. Der Haushofmeister wird euch euer Quartier und die Arbeit zuweisen. Ihr werde ab und an auch Wachtdienst leisten und im Falle eines Angriffes auch kämpfen müssen. Habt ihr Erfahrung mit Schwert und Schild?“ Richard versuchte dem Blick des Königs auszuweichen: „Nur sehr bescheidene, Eure Hoheit”. „Nun gut, “entgegnete der König, “vielleicht gibt sich die Gelegenheit, eure Fähigkeiten aufzufrischen.” Er wandte sich zum Haushofmeister: ”Kümmert Euch um ihn”. Dieser verneigte sich und gab Richard zu verstehen, dass man sich nun zurückziehen sollte. Der Haushofmeister führte Richard durch das Schloss und erklärte ihm dabei allerlei Dinge, von denen Richard natürlich schon Bescheid wusste. Richard versuchte seinerseits den Haushofmeister auszuhorchen: “Ist es wahr, dass der König keine Weihnachtsfeierlichkeiten plant? Normalerweise herrscht dann doch Hochbetrieb auf den Schlössern”. Aber der Haushofmeister hatte keine Lust, auf dieses Thema einzugehen. “Es ist keine Weihnachtsfeier vorgesehen, wie ihr wohl schon wisst – ausser der Verbrennung der Geschenke am Abend des 24. Dezembers. Ihr werdet - um die Gepflogenheiten im Schloss kennenzulernen - zunächst verschiedene Stationen durchlaufen. Die nächsten Tage werdet ihr zunächst dem Koch zur Hand gehen. Meldet euch noch heute bei ihm. Ihr werdet morgen früh eure Arbeit beginnen.” Damit verliess er Richard, nachdem er ihm seine kleine Kammer gezeigt und den Weg zur Küche beschrieben hatte. Richard machte sich gleich auf den Weg und meldete sich beim Koch, der zu seiner Verwunderung eine schlanke Erscheinung war und eine saubere Schürze trug. „Hast du je längere Zeit in einer Küche gearbeitet?” fragte ihn der Koch, während er ihn durch die verschiedenen Räume der Küche führte. “Ja”, log Richard und erinnerte sich an das Empfehlungsschreiben von Tomaso, „als Hilfskoch am Hof des Fürsten Marandino”. „Ach,” entfiel es dem Koch, „dann müsste dir mein entfernter Vetter Alexandro begegnet sein. Der ist ebenfalls im Dienste des Fürsten”. Richard wurde es unbehaglich. Er hatte sich am meisten davor gefürchtet, dass er sich durch eine unbedachte Bemerkung verraten könnte. Zwar hatte ihm Tomaso einiges über sein Leben beigebrachte, aber es war klar, dass seine Maskerade irgendwann durchschaut werden würde. „Nein”, entgegnete Richard vorsichtig, “der Name sagt mir gerade nichts. Aber der Hof des Fürsten ist gross und es ist ein ständiges Kommen und Gehen, so dass ich mich nicht an jeden Bediensteten erinnern kann. Der Koch stutzte, doch Richard versuchte das Gespräch wieder auf die Weihnachtsfeier zu lenken. “Ich habe schon gehört, dass hier Weihnachten so zu sagen ausfällt, aber niemand konnte mir den Grund hierfür nennen.” Der Koch sah sich etwas verstohlen um: “Es gibt viele Gerüchte und manche sagen, es stecke ein Geheimnis hinter diesem Weihnachtsfest. Es ist aber nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern und du solltest dich auch um deine eigenen Angelegenheiten scheren. Die Arbeit beginnt morgen früh um vier Uhr. Sei pünktlich!” Damit liess er Richard stehen und wandte sich zwei Köchinnen zu, die gerade eine grossen Topf mit Suppe vorbereitete. „Ein Geheimnis”, dachte Richard, als er sich auf den Weg zurück zu seinem Zimmer machte, „ich werde schon noch dahinterkommen”.
Richard hatte sich vorgenommen, die weiblichen Bediensteten etwas auszuhorchen. Waren sie doch in der Regel etwas gesprächiger und auch besser informiert. Vielleicht konnten die Köchinnen ihm etwas von diesem Geheimnis erzählen. Aber er musste vorsichtig sein. Er kannte die Beziehungen der Diener zueinander noch nicht und durfte kein Misstrauen erwecken. Pünktlich um vier Uhr stand er in der Küche. Der Koch und die beiden Köchinnen waren schon dort und daran, ein grosses Feuer im Herd anzuzünden. „Hol uns mehr Feuerholz im Schuppen neben dem Stall“, wies ihn der Koch an „und beeil dich, damit wir mit dem Backen der Brote beginnen können“. Damit begann ein arbeitsreicher Tag für Richard in der Küche. Aber so oft er sich bemühte, mit den Köchinnen ins Gespräch zu kommen, fand der Koch eine neue Beschäftigung für ihn. Er schickte ihn für eine Erledigung dahin oder dorthin und unterbrach jede beginnende Plauderei mit einem Auftrag an die Köchinnen. Es schien, als ob der Koch die Pläne von Richard mit Absicht durchkreuzen und es nicht zulassen wollte, dass Richard sich alleine und ungestört mit den Köchinnen unterhalten sollte. Die Zeit verrann und die Arbeit begann ihn zu ermüden. Noch immer war er keinen Schritt weitergekommen, als der Koch am Abend auf einen grossen Korb mit Kartoffelschalen, altem Obst, Gemüseresten und anderen Rüstabfällen zeigte: „Das Zeug beginnt schon zu stinken. Sorg dafür, dass wir den Müll los sind, bevor die Ratten ihn finden“. Richard packte den Korb und zog ihn zu der kleinen Lukarne am Ende der Küche. Der Koch und die Köchinnen sahen ihn dabei erstaunt an. „Was soll das denn?“ blaffte der Koch ihn an. „Ich dachte, wir werfen das Zeug da raus“, erwiderte Richard und zeigte auf die Lukarne. „Bist du bescheuert?“ fauchte der Koch ihn an und die Köchinnen schmunzelten. „Wir schmeissen den Abfall doch nicht einfach so vor unsere Haustür. Alles, was die Schweine nicht fressen, kommt auf den Komposthaufen, draussen vor dem Schloss. Wir wollen doch keine Rattenplage.“ Er seufzte: „Lena, zeig ihm, wo der Komposthaufen steht – aber trödelt nicht, wir müssen noch aufräumen“. „Komm mit“, sagte Lena sofort und ging voran. Richard hüpfte vor Freude das Herz. Das war seine Gelegenheit. „Ihr habt es ziemlich streng hier in der Küche. Das Essen ist prima. Bestimmt werdet ihr vom König viel gelobt“, begann er die Unterhaltung. „Nein, eigentlich nicht“ antwortete Lena zögerlich, „aber das dürfen wir auch nicht erwarten“. „Aber doch!“ protestierte Richard. „Ein guter König darf doch auch mal Komplimente machen, wenn wir gut arbeiten.“ „Er ist ein guter König“, gab Lena zurück und in ihrer Stimme lag plötzlich eine unerwartete Schärfe. „Aber ja, so hab ich es ja gar nicht gemeint,“ versuchte Richard zu beschwichtigen. „Ich mein‘ ja nur. Man hat in letzter Zeit so viel vom König gehört, z.B. die Sache mit den Weihnachtsgeschenken. Das ist ja doch recht merkwürdig – oder etwa nicht?“. Richard versuchte, das Thema beiläufig anzusprechen und gab seiner Stimme einen möglichst gleichgültigen Ton. „Du solltest dich besser um deine eigenen Angelegenheiten kümmern, sonst bist du deine Stelle so schnell los wie Jacky“, gab Lena kühl zurück. „Wer war Jacky?“, fragte Richard und hoffte so, das Gesprächsklima wieder etwas aufzuwärmen. Lena blieb stehen und blickte ihn genau an: “Hör zu, erstens, steck deine Nase nicht in Sachen, die dich nichts angehen und zweitens, halte mich nicht für dumm. Ich merke, wenn man mich aushorchen möchte. Jacky hat lange Zeit auf dem Schloss gearbeitet, hat alle wahnsinnig gemacht mit ihren Theorien, als es dem König immer schlechter ging. Eines Tages ist dies dem König zu Ohren gekommen und er hat sie sofort gefeuert. Sie hatte sogar noch Glück, dass er sie nicht eingesperrt hat.“ „Was ist aus ihr geworden und warum geht es dem König schlecht?“ platze es aus Richard heraus. Lena sah ihn mitleidig an. „Dort drüben steht der Komposthaufen. Den Weg zurück findest du wahrscheinlich alleine“. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief zurück zur Küche. Als Richard kurze Zeit später ebenfalls in die Küche zurückkehrte, sahen ihn die drei feindselig an. „Hört mal, tut mir leid. Ich bin einfach neu hier und etwas neugierig. Ich wollte euch nicht ausspionieren“, versuchte Richard sich zu erklären und merkte, dass er ein schlechter Lügner war. Der Koch schien immerhin ein wenig versöhnt. „Räum hier alles auf und dann verdrück dich ins Bett. Morgen bist du mit dem Stallmeister unterwegs“. Die drei verliessen die Küche, ohne ihn weiter zu beachten und Richard blieb alleine zurück. Er war niedergeschlagen. Er hatte einen ganzen Tag verbraucht und nichts herausgefunden und sich im Gegenteil auch noch verdächtig gemacht. Das würde sich unter den Dienern im Schloss wie ein Lauffeuer verbreiten. Niemand würde ihm mehr etwas anvertrauen. „Psst“, hörte er plötzlich eine Stimme. Er sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. „Ist da wer?“, rief Richard verwundert. „Wir sind es“, hörte er eine gedämpfte Stimme aus der Ferne. Richard stutzte. Er konnte noch immer niemanden in der Küche sehen. „Ike und Mike, hier, am Fenster“. Natürlich, die Kinder. Richard hatte sie fast vergessen. Sofort hatte er eine Idee. Schnell lief er zur Lukarne und spähte hinaus. Er sah Mike und Ike als dunkle Gestalten auf dem dünnen Sims stehen und sich an den Mauervorsprüngen festhalten. „Hört zu“, flüsterte er ihnen zu, „es ist schlecht gelaufen. Ihr müsst mir helfen. Findet Jacky!“
„Findet Jacky“, wiederholte Liza zum x-ten Mal. „Und viel mehr hat er euch nicht erklärt?“ Die Kinder sassen zusammen im Wohnzimmer von Mike, Ike und Emma. Mike hatte nach der Rückkehr vom Schloss gleich noch Liza Bescheid gegeben, dass man sich am Morgen hier treffen sollte. Ike seufzte: „Wir haben es euch doch schon erzählt. Richard hat nichts rausgefunden, ausser dass eine Frau namens Jacky im Schloss gearbeitet hat, etwas rausfand und dann vom König gefeuert wurde. Richard war sich sicher, dass sie der Schlüssel zum Geheimnis ist. Irgendetwas geht auf der Burg vor, von dem wir keine Ahnung haben.“ Emma fiel ihm ins Wort: „Aber er konnte euch weder sagen, wie sie aussieht oder wo wir sie suchen sollten oder auch nur wann genau sie gefeuert wurde. Und selbst wenn wir sie finden würden, meint ihr, sie würde vier Kindern das Geheimnis einfach so verraten? Weshalb sollte sie? Und vielleicht wurde sie auch einfach gefeuert, weil sie faul oder frech war“, ergänzte Ike. „Egal“, entgegnete Mike, „zuerst müssen wir sie finden. Der Rest wird sich ergeben, wenn es soweit ist.“ „Also gut“, gab Emma zurück, „wenn sie noch bei uns im Dorf lebt, wo würde sie wohnen?“ „Sie würde wohl arbeiten müssen“, überlegte Liza, „und da sie im Schloss gearbeitet hatte, ist sie vielleicht als Hausangestellte bei einer reichen Familie untergekommen.“ „Gut“, sagte Mike. „Ich frage Mutter, ob ihr ein paar Familien in den Sinn kommen, welche Hausangestellte haben. Wir teilen uns auf und klappern sie ab. Wir sagen den Leuten, dass es wichtig sei, wegen der Weihnachtsfeier, dann werden sie uns schon helfen“. Die Kinder waren nicht sonderlich begeistert, aber es war das Einzige, was ihnen einfiel. So machten sie sich auf den Weg. „Wir treffen uns am Nachmittag wieder hier“, schlug Emma vor, als sie sich vor der Haustüre verabschiedeten und in verschiedene Richtungen loszogen. Die Kinder waren in der Tat fleissig. Von Tür zu Tür fragten sie sich nach einer Haushaltsangestellten namens Jacky durch. Doch sie ernteten nur Achselzucken und Kopfschütteln. Niemand schien je von einer solchen Person gehört zu haben, obwohl die etwas besser gestellten Familien sich auch untereinander recht gut kannten und oft auch über deren Hausangestellte Bescheid wussten. Doch über eine Jacky aus dem Schloss vermochte niemand Auskunft zu geben. Am Nachmittag sassen die vier niedergeschlagen um den Tisch. „Wenn sie nun im Schloss als Köchin gearbeitet hatte, könnte sie auch in einer Gaststube untergekommen sein“ meinte Mike. „Ja, oder aber auch auf einem Bauernhof“, entgegnete Ike, „wir können aber unmöglich alle einzeln besuchen. Wir haben nur schon für die Familien mit Hausangestellten fast einen ganzen Tag gebraucht. Selbst mit all unseren Freunden würden wir es nicht in vernünftiger Zeit schaffen. Es ist wie die Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen“. „Wir dürfen trotzdem jetzt nicht aufgeben“, Lizas Stimme wirkte aber dennoch leicht verzweifelt. „Wir haben es so weit geschafft und ich spüre, wir sind kurz vor dem Ziel. Es muss etwas geben, das uns weiterhilft.“ Wir müssen nochmals mit Richard sprechen, sagte Ike, „vielleicht hat er heute etwas erfahren können, wie wir die Frau finden können. Mike und ich werden uns nochmals hinaufschleichen. Es war sowieso so abgemacht. Vielleicht habt ihr in der Zwischenzeit eine zündende Idee.“
Die beiden Jungs machten sich wieder auf den Weg zum Schloss. Vor der grossen Brücke verliessen sie den Weg, schlugen einen Bogen und gelangten an die Südseite des Schlosses. Von dort pirschten sie sich vorsichtig und im Schutze der Dunkelheit an die Schlossmauer. Hoch über ihnen sahen sie die kleinen Laternen der Wachen. Rasch fanden sie den ca. 50cm breiten Mauervorsprung, den sie gestern schon benutzt hatten und kletterten hinauf. Nun tasteten sie sich darauf langsam an der Mauer vorwärts. Der Mauervorsprung war an manchen Stellen schon etwas brüchig und manchmal bröckelten unter ihrem Gewicht einige kleine Steine in die Tiefe, denn je weiter sie sich voranwagten, je steiler fiel unter ihnen die Schlucht in die Tiefe. Als sie auf der Rückseite des Schlosses angelangt waren, wo sich auch die Lukarne der Küche befand, gähnte unter ihnen ein tiefer schwarzer Abgrund. Mike und Ike schlug auch heute wieder das Herz bis zum Hals, als sie endlich am Ziel waren. „Psst“, zischte Mike in die Lukarne und wartete. Diesmal bekam er sofort Antwort. Richard hatte sie schon erwartet: „Habt ihr Jacky gefunden?“ fragte er aufgeregt. „Leider nein“, antwortete Mike. „Hast du was Genaueres über sie herausgefunden? Was sie gearbeitet hat oder wie sie aussieht oder irgendetwas, was uns helfen könnte, sie zu finden?“ Es kam keine Antwort. Stattdessen hörten sie jetzt die Stimme des Haushofmeisters: „Was habt ihr so spät noch in der Küche zu suchen und mit wem sprecht ihr?“ Die beiden Jungen erstarrten und bewegten sich vorsichtig von der Lukarne weg ohne ein Geräusch zu machen. „Ich habe gestern hier meine Taschenuhr vergessen und sie schnell holen wollen und manchmal spreche ich einfach zu mir selbst – nichts Ungewöhnliches“, hörten sie Richard sagen. Ike blickte zu Mike und rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf über die phantasielose Ausrede. Tatsächlich hörten sie, wie der Haushofmeister zur Lukarne schritt und offenbar hinausspähte. Mike und Ike drückten sich zum Glück so dicht an die Schlossmauer, dass er sie auch wegen der Dunkelheit nicht sehen konnte. „Macht, dass Ihr verschwindet. Ich mag nicht, wenn sich Leute in der Küche herumtreiben, die hier nichts zu suchen haben“, herrschte er Richard an. „Natürlich, Sire, sofort“, hörten sich Richard murmeln. Sie spürten, dass der Haushofmeister nochmals aus der Lukarne blickte und sich dann ebenfalls aus der Küche entfernte. Sie atmeten tief aus. Gleichzeitig wussten sie, dass es Richard nicht nochmals wagen würde, in die Küche zurückzukehren. So beschlossen sie nach Hause zurückzukehren.
Die Mädchen erwarteten sie schon ungeduldig und waren dann aber über den Bericht der Jungen sehr enttäuscht. „Richard kann uns also nicht weiterhelfen. Wir müssen das Rätsel allein lösen. Lasst uns also nochmals überlegen, ob wir nicht etwas übersehen haben“, unterbrach schliesslich Emma die Erzählung der Jungen. „Emma hat Recht. Ich glaube auch, dass wir gar nicht so weit von der Lösung entfernt sind“, schloss sich Liza an. „Welche Lösung“, fragte Mike verwundert. „Wir suchen eine junge Frau, kennen ihren Vornamen und wissen, dass sie auf dem Schloss gearbeitet hat. Sie ist keine Haushaltsangestellte, also muss sie als etwas anderes auf dem Schloss gearbeitet haben. Aber es gibt x-Dinge, für die sie dort verantwortlich gewesen sein kann“. „Vielleicht hatte sie was mit Tieren zu tun“, warf Liza ein. „Ja klar“, schmunzelte Ike, „nur weil du Tiere magst, heisst das nicht, dass sie auch ein Tierfreund ist. Aber vielleicht war sie der beste Freund von Hühnern, Schweinen, Brieftauben, Jagdhunden oder …“ „Ponies!“ riefen alle wie aus einem Mund. Emma war vor Aufregung aufgesprungen und hatte sich das Knie heftig am Tischbein angeschlagen, schien es aber gar nicht bemerkt zu haben. „Sie hat ein stolzes Pony, welches mal vornehm untergebracht war und sie nennt sich nicht mehr Jacky, sondern nur noch ...“ „Jay!“ riefen wieder alle Kinder gleichzeitig.
Gleich am nächsten Morgen standen die vier Kinder am Eingang des grossen Stalls des Gutes, bei dem sie die Ponies für ihre Reise bekommen hatten. Jay war gerade am Misten und kam ihnen mit einer grossen Schubkarre entgegen. „Hallo, ihr vier!” rief sie fröhlich, als sie die Kinder erblickte. „Ich dachte schon, dass ihr kommt.” Die Kinder sahen sich erstaunt an. „Warum dachtest du, dass wir kommen?”, fragte Emma vorsichtig. „Na, ihr wollt doch sicher eure Ponies besuchen. Ihr habt ja einiges mit ihnen erlebt, habe ich gehört”. „Ach ja, natürlich”, antwortete Liza etwas verlegen. An die Ponies hatten sie noch gar nicht gedacht. Ihre Eltern hatten ihnen zwar gesagt, dass sie wohlbehalten zurückgekehrt waren. Aber für einen Besuch hatten sie noch gar keine Zeit gehabt. Als die Kinder zögerten, merkte Jay, dass etwas nicht stimmte. Sie stellte die Schubkarre ab und schaute sie fragend an: „Ist sonst noch etwas? Habt ihr etwas auf dem Herzen?” Liza fasste sich ein Herz. Sie hatten sich gar nicht genau überlegt, wie sie Jay auf die ganze Sache ansprechen sollten, ohne ihr Geheimnis um Richard zu verraten. „Uns ist dieser Satz in den Sinn gekommen, als du gesagt hast, Sadi sei einmal sehr vornehm untergebracht gewesen und …" Liza stockte. „Und da haben wir uns gefragt, ob er vielleicht mal in den Ställen des Schlosses seine Box hatte”, kam ihr Mike zu Hilfe. Jays Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht und sie wurde ernst. Ihr Ton blieb aber freundlich: „Jaah, das habt ihr schon richtig kombiniert. Aber warum wollt ihr das wissen?“ Ihr Blick wanderte von einem Kind zum anderen. Es entstand eine kurze Pause. Die Kinder sahen sich schüchtern an. Lizas Kehle war plötzlich trocken geworden und sie konnte nur noch flüstern: „Bist du Jacky?”, fragte sie vorsichtig. Der Blick von Jay wurde jetzt durchdringend und die Kinder blickten verlegen zu Boden. „Okay”, begann Jay nach einer kurzen Pause und die Kinder bemerkten erleichtert, dass sich ihre Stimme nicht verändert hatte, „ihr scheint ein grosses Geheimniss zu haben und ich weiss noch immer nicht, was ihr eigentlich wollt. Ich glaube, es wäre an der Zeit, wenn wir alle einfach mal ehrlich sagen, was los ist. Das hilft in aller Regel immer. Ich beginne mal. Ja, es stimmt. Sadi stand schon in den Ställen des Königs. Ich war dort die Stallmeisterin. Ich bekam Streit mit dem König. Ich musste gehen und fand hier eine neue Stelle. Ich wollte die Geschichte auf dem Schloss hinter mir lassen und nannte mich fortan, wie meine Eltern mich früher riefen – nämlich Jay.” Das Herz der Kinder machte einen freudigen Hüpfer. Sie hatten Jacky gefunden. „Warum musstest du das Schloss verlassen”, fragte Emma rasch. Jetzt lächelte Jay wieder. „Nun, ich glaube, jetzt habe ich erst mal ein paar Fragen an euch und ich glaube, ihr schuldet mir auch eine ehrliche Antwort. Also, woher kennt ihr meinen früheren Namen, warum wollt ihr das wissen und weshalb seid ihr gekommen?” Die Kinder schauten sich an, wandten sich von Jay ab und bildeten kurz einen kleinen Kreis. „Wir müssen ihr die Wahrheit sagen”, flüsterte Mike. Ike nickte:” Wir kommen sonst nicht weiter und wir haben keine Zeit mehr.“ „Ich glaube, wir können ihr vertrauen”, ergänzte Mike. Die Mädchen sahen sich an und nickten. Sie drehten sich wieder zu Jay um. „Das ist eine lange Geschichte”, begann Ike. „Schön, ich liebe lange Geschichten”, antwortete Jay rasch. „Kommt! Wir gehen in mein Zimmer. Ich habe ein paar Kekse und mache uns eine warme Milch“.
Die Kinder begannen ihre Geschichte abwechslungsweise zu erzählen – wie sie zuerst beim König eine Audienz hatten und hernach die Idee, den weisen Mann in den Bergen zu suchen. Als sie ihn erwähnten, hob Jay ihre Augenbrauen, unterbrach die Kinder aber nicht, sondern hörte weiterhin aufmerksam zu. Sie sah die Kinder mit grossen Augen an, als diese von den Wölfen, dem Bär und Emmas Sturz in den Fluss berichteten. Schliesslich kamen sie an die Stelle, an der ihnen Richard sein Geheimnis verraten hatte. Sie stockten nochmals kurz, bevor Mike fortfuhr: „Richard ist der Bruder des Königs“. Sie sahen Jay erwartungsvoll an. Diese blickte sie gedankenverloren an: „Die Gerüchte im Schloss waren demnach gar nicht so falsch“, murmelte sie. Sie sah die Kinder ernst an: „Es gab schon immer Stimmen, die behaupteten, Richard sei gar nie ins Ausland gegangen, sondern lebe irgendwo hier als Einsiedler in den Bergen. Aber erzählt weiter“. Die Kinder fuhren fort und beschrieben den Rückweg und schliesslich, wie Richard sich ins Schloss geschmuggelt hatte und er sie gebeten hatte, „Jacky“ zu finden. „Du musst etwas wissen, was uns weiterhelfen könnte, das Geheimnis des Königs zu entdecken und vielleicht Weihnachten doch noch zu retten“, schloss Emma die Erzählung. „Ihr habt wahrlich eine abenteuerliche Reise hinter euch“, begann Jay nachdenklich. „Ich will euch sagen, was ich weiss, aber ich bin nicht sicher, ob es euch weiterhelfen wird. Nachdem ich vor zwei Jahren meine Arbeit im Stall des Königs begann, wurde ich bald recht vertraut mit ihm. Natürlich begegnete ich dem König mit grossem Respekt und Zurückhaltung. Aber der König ist ein grosser Pferdenarr und schaute fast täglich zu seinen Pferden und Ponies. Er schätzte meine Arbeit und ich hatte auch grosses Glück - die Tiere waren praktisch nie krank, immer in sehr gutem Zustand und verletzten sich nie in meiner Zeit. Das war in der Vergangenheit offenbar nicht immer so gewesen. Ihm gefiel auch, dass ich mit den Tieren freundlich umging, sie aber trotzdem folgsam waren. So gewann ich nach und nach das Vertrauen des Königs. Ich spürte schon bald, dass ihn etwas zu bedrücken begann. Natürlich wagte ich es nicht, ihn danach zu fragen – ich war ja nur die Stallmeisterin. Aber es schien, als wolle er etwas loswerden, über etwas sprechen, das ihn traurig machte. Vor einem guten Jahr wurden seine Besuche im Stall und seine Ausritte seltener. Ich fragte ihn beiläufig, ob er krank sei, weil er weniger reiten würde. Nur das Herz, nur das Herz, antwortete er. Tatsächlich sah man jetzt aber häufiger die Ärzte auf dem Schloss und man munkelte, der König sei ernsthaft krank. „Krank?“ unterbrach sie Ike. „Davon haben wir nie etwas gehört.“ „Natürlich nicht“, fuhr Jay fort, „Gerüchte über einen vielleicht schwerkranken König sind nicht gut für die Stimmung im Land. Der König hat doch keine Nachkommen und der einzige Thronfolger wäre demnach sein Bruder. Der istaber offiziell gar nicht im Land. Als der König wieder mal im Stall war, um seinen Wallach zu besuchen, wagte ich es, ihn nach seinem Bruder zu fragen. Er wurde ungewohnt aufbrausend und barsch. Er meinte, sein Bruder sei weit weg und habe keine Ahnung von Regierungsgeschäften und wies mich an, mich um seinen Stall und meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Die königliche Familie ginge mich einen feuchten Pferdeapfel an. Danach war meine Beziehung nie mehr wie früher. Er kam immer seltener in den Stall und wir wechselten kaum mehr ein Wort. Ich versuchte etwas über seinen Bruder herauszufinden, weil ich glaubte, die schlechte Stimmung des Königs oder seine Gesundheit hänge mit seinem Bruder irgendwie in Verbindung. Dabei hörte ich, dass die Brüder in grossem Streit auseinander gegangen seien, Richard das Land aber vielleicht gar nicht verlassen habe. Ich begann zu spekulieren, was zwischen Richard und dem König wohl vorgefallen war und ob und wie man die beiden miteinander versöhnen könnte. Das muss dem König zu Ohren gekommen sein. Auf jeden Fall beendete er meine Anstellung kurz darauf und schickte mich von einem Tag auf den anderen weg.“ Es entstand eine längere Pause. „Und er hat wirklich gesagt, das gehe dich einen feuchten Pferdeapfel an?“ unterbrach schliesslich Ike die Stille. Jay lächelte. „Ja, genauso hat er es gesagt“. „Und ist der König nun wirklich krank“, unterbrach Liza, „und was hat Richard damit zu tun?“ „Ich bin sicher, Richard weiss nichts über die Krankheit seines Bruders,“ warf Emma ein. „Ich werde ihm heute Abend alles erzählen“, sagte Mike entschlossen. „Er muss sich zu erkennen geben und mit seinem Bruder sprechen. Nur er kann den König noch umstimmen, die Geschenke morgen zu verbrennen.“
Aber Mike und Ike kamen nicht mehr dazu, mit Richard zu sprechen. Als sie sich wieder wenig später anschickten auf den Mauervorsprung in der Schlossmauer zu klettern, traten plötzlich aus der Dunkelheit drei Soldaten auf sie zu und packten sie unsanft am Arm. „He!“, rief Ike entrüstet, „lasst uns los, ihr tut uns weh. Wir haben ja gar nichts gemacht.“ Aber die Wachen lockerten den festen Griff um keinen Zentimeter. Eine Fackel wurde entzündet und die Kinder kniffen die Augen im hellen Licht zusammen. Nun erkannten sie neben den drei Soldaten auch den Kanzler wieder, welcher sie finster anstarrte. „Ihr schon wieder“, stöhnte er. „Ich hatte euch doch gewarnt oder etwa nicht?“. „Bitte“, flehte Mike, „wir haben ja gar nichts Unrechtes getan.“ „Die Wachen berichten mir schon seit zwei Tagen, dass sie hier jeweils nachts verdächtige Geräusche ausmachten. Also treibt ihr euch nun schon die dritte Nacht an der Schlossmauer herum. Ich habe vom König strikte Anweisung, jeden sofort festzunehmen, der sich des Nächtens hier verdächtig macht. Wolltet ihr ins Schloss einbrechen?“ Als Ike etwas erwidern wollte, hob der Kanzler abweisend die Hand. „Ich möchte zu dieser späten Stunde keine faulen Ausreden mehr hören. Ich müsste euch jetzt einkerkern, aber weil ihr noch Kinder seid, lass ich euch heute Nacht in euren eigenen Betten schlafen. Aber ich werde dem König Bericht erstatten und ihr werdet morgen pünktlich um zwei Uhr am Schlosstor erscheinen und Gnade euch Gott, wenn ihr eine Minute zu spät seid. Ihr werdet dem König dann erklären, was ihr hier die letzten drei Nächte wolltet. Haben wir uns verstanden?“ Er sah die Kinder durchdringend an. „Ja, natürlich. Wir werden pünktlich sein, versprochen“, beteuerte Ike mit zitternder Stimme. Der Kanzler gab den Soldaten einen Wink und diese lösten ihren derben Griff. Die Kinder rieben sich die schmerzhaften Stellen an ihren Armen. Gerade als sie sich davon machen wollten, fuhr der Kanzler sie nochmals an. „Die beiden Mädchen, wissen sie, dass ihr hier seid?“ „Nein“, antwortete Ike schnell, „sie meinten, wir sollten auf keinen Fall…“. Doch weiter kam er nicht. „Ich erwarte auch die Mädchen hier um zwei Uhr – klar?“ Die Jungs nickten.
„Nun kommt schon“, versuchte Emma ihre Brüder aufzumuntern, nachdem diese von ihrer Verhaftung berichtet hatten. „Wir haben nichts Falsches gemacht. Wir werden dem König einfach die Wahrheit erzählen.“ Genau“, ergänzte Liza, der aber auch ziemlich flau im Magen war, wenn sie an die morgige Begegnung mit dem König dachte. „Wir sollten uns nicht einschüchtern lassen.“ „Vor dem König habe ich nicht so Angst“, flaxte Ike. „Aber Mama wird rasen. Wir müssen es unseren Eltern sagen.“ Emma seufzte. „Ja, und am besten jetzt gleich, sonst kann ich heute Nacht kein Auge zu tun.“
Die Abreibung, die die Kinder von ihren Eltern erhalten hatten, war heftig gewesen. Sie waren erstaunt, wie viele Adjektive ihre Mütter kannten, mit denen sie ihr Verhalten umschrieben hatten. „Verantwortungslos“, „egoistisch“, „selbstsüchtig“, “total bescheuert“, „unreif“, „hirnverbrannt“, „zum Schämen“, „geistlos“, „infantil“, „naiv“, „unterentwickelt“, waren noch die netteren, die auf sie herabprasselten. Wie begossene Pudel und mit roten Köpfen mussten die Kinder den Sturm über sich hinwegfegen lassen. Aber gerade als die Schimpftirade kaum mehr zum Aushalten war, geschah etwas Unerwartetes. Noch immer in Rage schloss die Mutter von Emma, Mike und Ike ihre Standpauke: „Und der König soll bloss nicht glauben, er könne einfach meine Kinder einsperren oder bestrafen. Natürlich werde ich euch morgen begleiten und ihm meine Meinung geigen. Schliesslich ist alles nur passiert, weil er unsere Geschenke gestohlen hat!“ Hatten die Kinder gerade vergessen gehabt, dass sie sich immer auf ihre Eltern verlassen konnten, so kehrte bei diesem Satz ihrer Mutter das Gefühl des Vertrauens und der Gevborgenheit wie eine warme Welle in ihre Herzen zurück. Die schweren Klumpen von schlechtem Gewissen in ihren Mägen lösten sich. Emma umarmte ihre Mutter heftig. „Danke, Mamma“, murmelte sie.
Am nächsten Morgen verspürten die Kinder eine seltsame Stimmung. Sie waren einerseits sehr aufgeregt und nervös, wegen des bevorstehenden Besuchs mit dem König. Bei ihrem letzten Treffen war er nicht unfreundlich, aber auch nicht sehr zuvorkommend gewesen. Würde er sie wirklich bestrafen wollen? Schliesslich hatten sie sich nur nachts beim Schloss herumgetrieben und sonst gar nichts angestellt. Was aber, wenn er Richard auf die Schliche gekommen war und er von ihrer Verbindung mit ihm wusste? Hatte der Kanzler ihm vielleicht auch erzählt, dass sie vor ihrer Abreise versucht hatten, die Geschenke auszuwechseln? Andererseits waren die Kinder richtig traurig, weil sie nicht mehr daran glaubten, dass der König seine Meinung noch ändern und die Geschenke zurückgeben würde. Die Erwachsenen hatten sich offenbar damit bereits abgefunden. Sie versuchten die Kinder zu trösten. „Wir werden trotzdem Weihnachten feiern. Dieses Mal einfach ohne Geschenke“, wiederholten sie jedes Mal, wenn sie in die traurigen Gesichter der Kinder blickten. „Weihnachten ohne Geschenke ist wie ein Tannenbaum ohne Weihnachtsschmuck – es ist einfach ein normaler Baum. So fühlt es sich einfach nicht richtig an“, meinte Liza, als die Kinder wieder auf das Thema zu sprechen kamen. „Kommt, lasst uns gehen“, sagte Mike schliesslich, als es Zeit war. „Wir sollten nicht auch noch zu spät kommen."
Als die Kinder und ihre Mütter am Schloss ankamen, wartete am Tor zu ihrer grossen Überraschung Richard und nahm sie in Empfang. „Was tust du denn hier“, fragte Emma ihn mit grossen Augen und lauter Stimme. „Ich meine“, fuhr sie erschrocken mit gedämpfter Stimme fort und blickte sich vorsichtig um, „ich meine, was hat das zu bedeuten, dass ausgerechnet du hier bist?“ „Wohl einfach ein Zufall“, erwiderte Richard leise, „ich bin heute zum Tordienst eingeteilt und soll euch zum König führen.“ Nun kam auch der Kanzler zum Tor und sah die Kinder in Begleitung ihrer Mütter. „Ich erinnere mich nicht, dass ich die Eltern der Kinder aufs Schloss bestellt hätte. Sie sind alt genug, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen." „Was für ein Handeln, was für Konsequenzen, von was sprechen Sie überhaupt“, ereiferte sich die Mutter von Liza. „Der König hat kein Recht...“ „Der König hat alle Rechte“, unterbrach sie der Kanzler scharf. „Ausserdem sollten Sie beide in einer Stunde am Dorfplatz stehen, wie dies vom König längst angeordnet ist. Also gehen Sie nun – den Kindern wird schon nichts Schlimmes geschehen“, fügte er sanft hinzu. Die Kinder sahen sich ratlos an. Die Erwachsenen hatten ihnen nichts darüber erzählt, dass der König die Dorfbewohner auf den Dorfplatz bestellt hatte. Sollten schon in einer Stunde die Geschenke verbrannt werden und hatte man ihnen aus Rücksicht die Anordnung des Königs verschwiegen? Das sähe den Erwachsenen ähnlich. Als zwei weitere Wachen mit finsterer Miene zum Tor schritten, drückten die Mütter ihren Kindern rasch die Hand und suchten noch nach ein paar aufmunternden Worte. Der Kanzler drehte sich zu Richard um: „Nun los, steh‘ hier nicht so untätig herum. Bring die Kinder endlich zum König." Rasch wandte sich Richard zu den Kindern. „Hier entlang. Folgt mir.“ Damit schritt er rasch voran und mit einem letzten Blick zurück auf ihre Mütter folgten ihm die Kinder. „Hast du mit deinem Bruder sprechen können?“, fragte Emma auf dem Weg zum König eindringlich. Richard schüttelte den Kopf: „Keine Chance“, es ist auch für die Diener hier im Schloss nicht so einfach, an ihn ranzukommen. Er ist mir seit meiner Ankunft im Schloss nicht mehr begegnet. Ich habe gehört, ihr seid gestern geschnappt worden. Aber niemand weiss, was der König vorhat. Normalerweise ist es nicht verboten, sich ausserhalb der Schlossmauern aufzuhalten. Habt ihr eine Ahnung, weshalb ihr hier seid?“. Jetzt schüttelten die Kinder den Kopf. „Hört zu, ihr habt nichts falsch gemacht. Also braucht ihr auch keine Angst zu haben. Wenn ihr nicht klarkommt, werde ich einschreiten.“ „Du könntest dich doch jetzt zu erkennen geben“, warf Liza ein. Richard zögerte: „Ich weiss nicht recht, ob das jetzt der passende Zeitpunkt ist. Wir sollten abwarten, was der König mit euch zu besprechen hat.“ Liza und Emma sahen sich an und erkannten, dass sie das Gleiche dachten: „Richard hat Schiss“. Noch bevor Liza etwas sagen konnte, drängte Richard sie vorwärts: „Schnell, ihr seid schon spät. Wir wollen den König nicht unnötig verärgern.“
Vor dem Thronsaal warteten zwei grimmig dreinschauende Wachen. Als Richard eintrat, verneigte er sich tief vor dem König: „Hier sind die Kinder, nach denen Ihr geschickt hattet, Eure Hoheit." „Gut“, sagte der König tonlos. „Wartet vor der Türe." Richard verneigte sich nochmals und die Wachen schlossen die Türe hinter sich und Richard, so dass die Kinder mit dem König alleine waren. „Tretet näher!“, befahl ihnen der König mit der gleichen, verhaltenen Stimme. Die Kinder taten mit gesenktem Blick, wie ihnen geheissen wurde. Langsam wurde ihnen der König unheimlich. „Was seid ihr?", zischte der König sie jetzt an. „Diebe? Schnüffler? Verräter? Zuerst versucht ihr, die Geschenke zu stehlen.“ Als die Kinder zusammenzuckten, fuhr er fort. „Ja, glaubt ihr etwa, das wäre mir verborgen geblieben? Dann stellt ihr Erkundigungen über mich bei meiner früheren Stallmeisterin an und gleichzeitig treibt sich der da“, der König deutete auf Ike, „jeden Abend beim Schloss rum und schmuggelt Nachrichten hinein.“ Die Kinder begannen zu zittern und wagten nicht aufzuschauen. „Woher wusste der König dies alles. Wer hatte sie verraten? „Habt ihr die Sprache verloren“ rief der König ihnen jetzt mit fester Stimme zu und erhob sich langsam von seinem Thron. Die Kinder hatten keine Ahnung, was sie jetzt sagen sollten. Erwartete der König überhaupt eine Antwort oder würden sie es mit einer Erwiderung nicht noch schlimmer machen? Der König erhob seine Stimme noch weiter: „Diese Heimlichtuerei habe ich satt! Ihr packt jetzt aus, sonst landet ihr im dunkelsten Winkel dieses Schlosses, bis euch alles wieder einfällt!“ Bevor die Kinder antworten konnten, krachte es an der Türe und Richard platzte herein und rief: „Hör auf!“. Zu mehr reichte es nicht, weil dicht gefolgt die beiden etwas verdutzten Wachen sich jetzt auf ihn stürzten und sofort zu Boden drückten. Emma schrie auf. Richard keuchte und versuchte sich zu befreien, doch die beiden Wachen liessen ihm keine Chance. „Bitte, hört auf“, Liza wandte sich zum König, „er ist doch Ihr Bruder“. Der König seufzte, setzte sich langsam wieder auf seinen Thron und murmelte kaum hörbar: „Ich weiss“. Dann machte er eine unscheinbare Handbewegung, worauf die Wachen von Richard abliessen. Dieser keuchte noch immer vor Aufregung und Anstrengung. Er rappelte sich hoch und sah genauso überrascht wie die Kinder zum König. „Was heisst das: 'Ich weiss',"? „Das heisst, dass es dumm von dir ist, zu glauben, ich würde meinen eigenen Bruder nicht erkennen, wenn er vor mir steht. Ich erkenne ihn selbst dann, wenn er sich höchst dämlich als Diener verkleidet hat oder mit einem grossen Bart zu meiner Krönung erscheint.“ Richard zuckte zusammen. Er überlegte, ob er seinen Bruder vielleicht unterschätzt hatte. „Nun gut, wie auch immer“, begann Richard, „wir müssen mit dir reden. Du kannst Weihnachten nicht ausfallen lassen und die Geschenke verbrennen. Das würden dir die Leute niemals verzeihen und denke doch an all die Kinder.“ Der König winkte ab: „Du begreifst noch immer nichts. Es geht doch gar nicht um Weihnachten oder ein paar Geschenke. Ich würde den Leuten doch niemals das schönste Fest im Jahr kaputt machen. Gerade jetzt werden im ganzen Land alle Geschenke wieder an ihre rechtmässigen Besitzer verteilt.“. Er hustete. „In deinem Namen übrigens." Ike und Mike sahen sich an und zuckten verständnislos die Schultern. „Könntet ihr uns das erklären, Eure Hoheit?“, fragte Emma schüchtern. Der König sah sie an und nickte. „Einen Teil kennt ihr schon von Jacky, pardon Jay. Sie bemerkte in meinem Umfeld als Erste, dass ich ernsthaft krank bin. Sie begann, Fragen zu stellen, die ich nicht oder noch nicht beantworten wollte. Ich wollte nicht, dass sich Gerüchte verbreiten würde, deshalb musste sie gehen. Ich sorgte dafür, dass sie wieder eine gute Stelle bei meinem Gutsherrn bekam, der euch übrigens auf meinen Zuspruch hin auch die Ponies zur Verfügung stellte. Die Wahrheit ist, ich bin vielleicht schwerer krank, als mir lieb ist. Ich kann die Last des Regierens nicht mehr alleine tragen. Ich musste mich daher um einen möglichen Stellvertreter oder gar Nachfolger kümmern. Aber wer sollte das sein? Nachkommen habe ich keine und mein einziger Bruder hatte sich aus dem Staub gemacht und lebte angeblich im Ausland. Meine früheren Bemühungen, ihn wieder an den Hof zurückzubringen, scheiterten an seinem Dickschädel und seinem falschen Stolz.“ Richard wollte protestieren, doch eine weitere Handbewegung des Königs liess ihn schweigen.“ Ich musste wissen, ob Richard das Wohl des Volkes überhaupt interessierte, deshalb kam ich auf die Idee mit der Verbrennung der Weihnachtsgeschenke. Ich wusste, dass er davon erfahren würde. Aber würde ihn dies auch dazu bewegen, etwas dagegen zu unternehmen oder würde er wenigstens euch zu Hilfe kommen? Nun, ich muss sagen, besonders geschickt hat er sich nicht angestellt und ohne die tatkräftige Unterstützung von vier aufgeweckten Kindern, wärst du wohl noch immer auf irgendeinem Berg und würdest schmollen oder sässest gefesselt im Wald – nicht wahr?“ Der König blickte Richard ernst an. „Wenn Du dich früher nicht so aufgespielt hättest, wäre es gar nie so weit gekommen“, gab Richard zurück. „Dich interessierte doch immer nur die Krone unseres Vaters. Ich war dir völlig egal.“ Ike und Mike sahen sich an. Das erinnerte sie irgendwie an Streit unter Brüdern. „Jetzt wo das Weihnachtsfest doch stattfindet und ihr bestimmt noch viel zu besprechen habt, könnten wir dann wieder nach Hause? Wir würden nämlich gerne unsere Geschenke auspacken“, wagte sich Ike vorsichtig vor. Der König blickte die Kinder freundlich an. „Ihr könnt gehen, aber ihr habt noch was gut für das Zurückbringen meines Bruders. Ihr werdet von mir hören.“ „Von uns“, fügte Richard an. „Von uns?“, fragte der König und sah Richard mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Habe ich dich jetzt schon zu meinem Stellvertreter ernannt?“ „Ach sieh an. Schon muss der Herr König wieder den Mops markieren“, erwiderte Richard. „Etwas Respekt und Zurückhaltung könnte nicht schaden, sonst zeigt dir der Mops, welche Arbeiten noch in der Küche zu erledigen sind“. Die Kinder sahen sich an und da die grossen Flügeltüren noch offen waren und die Wachen keine Anstalten machten, sie zurückzuhalten, schlüpften sie schnell hinaus. Richard und der König schienen dies nicht bemerkt zu haben, denn die Kinder hörten sie noch eine ganze Weile zanken, als sie auf den langen Gängen in Richtung Ausgang huschten.
Als Emma, Mike und Ike zusammen mit ihren Eltern und Liza und ihrer Mutter zu Hause vor den Geschenken sassen, war die Stimmung fröhlich und ausgelassen. „Glaubt ihr, dass es sich gelohnt hat, dass der König einen solchen Aufwand betrieben hat, um seinen Bruder zurückzuholen?“ fragte Liza in die Runde. „Ich glaube, sie haben sich gegenseitig vermisst. Aber keiner wollte es zugeben. Ich könnte jedenfalls nicht ohne meinen Bruder auskommen, auch wenn er manchmal nervt“, antwortete Mike und blinzelte Ike zu. „Und den Aufwand haben vor allem wir gehabt“, gab Emma zu bedenken. „Aber es war ein wundervolles Abenteuer und die spannendsten Winterferien ever,“, schmunzelte Liza. Ob Richard nun unser neuer König wird“? fragte Mike. „Und noch wichtiger, werden wir eine Belohnung bekommen?“ „Egal“, antwortete Ike. Er nahm ein kleines in rotem Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen in seine Hand und schüttelte es sanft. Jetzt wird erstmal gefeiert und ausgepackt!“
Geduld! Die Geschichte beginnt am 1. Dezember.
Noch ist es nicht so weit
Wie üblich der Zeit voraus?
Schon mal auf den Kalender geschaut?
Bitte warten, please wait, attendez svp, aspettate per favore
Hey, nicht vorgreifen!
Das habe ich mir jetzt aber gemerkt!
Nice try…
Okay, ich wüsste auch gerne jetzt schon, wie es weitergeht
Bist Du sicher, dass heute schon der 10. Dezember ist?
Das ist ein Adventskalender. Dieses Geschenk lässt sich erst am 11. Dezember öffnen!
Schlaumeier!
Erwischt! Du versuchst zu schummeln!
Nicht heute
No chance!
Einfach mal ein bisschen am Rumklicken?
Das klappt doch nicht vor dem 17. Dezember…
Du bist zu neugierig!
Warum sollte das heute schon zu öffnen sein?
Reine Zeitverschwendung…
Hier wird noch nichts verraten!
Heute ist doch nicht der 22. Dezember!
Zwecklos!
Nicht Dein Ernst, dass Du das jetzt versuchst?
Dieses Tor kann erst geöffnet werden, wenn
das vorherige schon offen ist.